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Gofi Müller Beiträge

‚Bär‘, Installation mit lebenden Vögeln, 200 x 90 cm (Matratze), Acryl und Vogelkot auf Stoff, 2012 bis heute

Als ich zu malen anfing, habe ich ziemlich bald Tiere gemalt. Das war keine bewusste Entscheidung. Erst als mich eine große grüne Kuh von der Leindwand anblickte, begann ich darüber nachzudenken, was mich an Tieren fasziniert. Nach einiger Zeit verstand ich, dass sie für mich das total Andere und gleichzeitig Nahe darstellen.

Es ist verwirrend, wie nah und gleichzeitig fremd wir uns sind. Unsere Biologie ist sich in großen Teilen ähnlich, selbst unsere Empfindungen gleichen sich häufig, wie neuere Untersuchungen zunehmend deutlich machen. Erschreckend, dass wir Tiere dennoch in diesem Umfang fressen oder in Versuchen opfern.

Die Suche nach dem Nahen im gänzlich Anderen ist durch ein spirituelles Interesse motiviert, schätze ich. Es ist der Versuch, unsere Wirklichkeit besser zu verstehen, meinen Platz in ihr zu finden, Frieden mit ihr zu schließen.

‚Bär‘ ist eine Installation, die in unserem Wohnzimmer hängt und so, wie sie jetzt ist, diesen Ort niemals verlassen wird. Denn sie besteht aus einem Gemälde auf einer Matratze und lebenden Nymphensittichen, die sich gerne darauf ausruhen oder dort spielen.

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Mir ist erst spät klargeworden, wie sehr die lebenden Tiere den gemalten ‚Bären‘ aufwerten, denn während das Gemälde nur auf das tierische Andere verweist (die geschriebene Bezeichnung ‚Bär‘ ist ein ironischer Hinweis auf das Offensichtliche, dass es sich um einen gemalten Bären handelt oder dass es sich überhaupt um einen Bären handeln soll, obwohl er nur zweidimensional und aufgemalt ist) sind die beiden Vögel selbst das Andere. Sie sorgen dafür, dass das Kunstwerk sich ständig weiterverändert. Immerhin lebt es wirklich.

Der österreichische Aktionskünstler Hermann Nitsch suchte das Andere, in dem er Schafe zerriss, sie ausweidete und mit ihrem Blut Bilder malte. Ich lasse die Tiere lieber leben. Das eigentliche Geheimnis besteht immerhin im Leben. Welche Erkenntnis sollte sich aus seiner Vernichtung ziehen lassen?


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Mut zur Weite – Eine Predigt

Der Krieg ist nach Europa zurückgekehrt. Hundertausende fliehen oder werden getötet. Ist es da wirklich sinnvoll, über Kunst nachzudenken? Ich glaube schon.

Diese Predigt habe ich am 6. März in meiner Kirchengemeinde UND/Marburg gehalten. Der Einmarsch der russischen Armee in die Ukraine und der sich anschließende Krieg war bereits 12 Tage alt, die Verbrechen gegen die Menschlichkeit durch die Russen waren aber noch nicht so umfassend bekannt wie heute, auch wenn uns bereits schreckliche Nachrichten aus Mariupol erreicht hatten.

1.

Ich könnte mir vorstellen, dass du denkst, dass es in Zeiten wie diesen angemessenere Themen gibt, als ‚Kreativität und Kunst‘. Immerhin ist der Krieg nach Europa zurückgekehrt. Wieder fliehen Hunderttausende. Wieder sterben Menschen. Sollte man da nicht über andere Sachen nachdenken? Über Feindesliebe, Barmherzigkeit, Gebet, über die Hoffnung, dass Gott uns trotz allem immer noch in seiner Hand hält?

Ich habe mal die Holocaust-Gedenkstätte Yad Vashem in Jerusalem besucht. Das ist ein großes Museum, wo Jüdinnen und Juden gedacht wird, die von den Nazis ermordet worden sind. Ihre Geschichten werden dort erzählt. Und es wird auch derer gedacht, die ihnen geholfen haben. Wenn du aus diesem Museum wieder herauskommst, kannst du eigentlich nur noch schweigen. Ich hab jedenfalls gebraucht, bis ich meine Sprache wiedergefunden habe.
Ein Raum hat mich besonders beeindruckt. Es ist ein Raum, der dem Warschauer Ghetto nachempfunden ist. In diesem Ghetto wurden Juden gefangen gehalten. Sie mussten unter schlimmsten Bedingungen leben. Sie waren vom Hungertod bedroht. Immer wieder wurden Freunde und Verwandte abtransportiert in die Lager und verschwanden für immer.
Der Literaturkritiker Marcel Reich-Ranicky hat das Ghetto überlebt. Es gibt in dem Museum einen Raum, in dem ein Video von ihm läuft. Reich-Ranicky erzählt dort auf Deutsch, wie das Leben im Ghetto war. Und er berichtet, dass man sich regelmäßig in einem kleinen Café traf, um Dichterlesungen zuzuhören oder klassischen Konzerten.

Warum?
Wenn man von Hunger und von Mord bedroht ist, wenn man weiß, dass man öglicherweise bald stirbt, gibt es dann nichts Sinnvolleres zu tun, als Gedichte zu lesen, Musik zu hören, Bilder anzuschauen?

Manchmal nicht. Und zwar deshalb, weil Kreativität zum Kern des Menschseins gehört. Wenn dir das Menschsein abgesprochen wird, wenn dir dein menschliches Dasein verloren zu gehen droht, dann erfährst du hier, in der Kreativität, dass du immer noch Mensch bist.

So hat der ukrainische Schriftsteller Stanislav Aseyev ein Folterlager überlebt. Er war für 28 Monate in einem Konzentrationslager im Donbas eingesperrt und wurde schwer gefoltert. Er hat darüber ein Buch geschrieben: “Heller Weg – Geschichte eines Konzentrationslagers im Donbass 2017 bis 2019”. Er hat in der Zelle alles aufgeschrieben, was er durchlitten hat, auf allem, worauf man schreiben konnte. Und so hat er geistig einigermaßen überlebt.

Kreativität und Kunst sind kein Luxus für schöne Tage. Sie sind Teil von dem, was uns zu Menschen macht. Es gibt kein Menschsein ohne Kunst. An den Wänden der Höhlen hat man Jahrtausende alte Zeichnungen gefunden. Wenn Du Mensch bist, bist Du kreativ, auch wenn du nicht malst, nicht schreibst, nicht Musik machst, nicht gerne dekorierst.

Jeden Tag wendest du kreative Techniken an: Du findest Lösungen für Probleme. Du beschreibst etwas mit Worten. Du erziehst deine Kinder. Du findest einen Weg um Geld zu verdienen. Du reparierst etwas. Du suchst dir bewusst deine Kleidung aus. Du kommst vom Friseur zurück, bist todunglücklich und betreibst Schadensbegrenzung.

Du bist kreativ! Jeden Tag! Woher hast du das?

Ich lese dir einen Bibelvers vor:
„Und Gott sprach: ‚Lasst uns Menschen machen in unserem Bild, uns ähnlich! … Und Gott schuf den Menschen nach seinem Bild, nach dem Bild Gottes schuf er ihn […]“ 1Mo1,26/27

Gott kreiert. Er erschafft. Seit das Universum existiert, erschafft Gott ständig Neues. Wir leben in einem ständig werdenden, sich ständig wandelnden Kosmos. Die kreative Kraft, die das bewirkt, ist Gott. Man kann eigentlich nicht sagen: Gott ist kreativ. Man müsste sagen: Gott ist Kreativität.

Und dieser Bibelvers sagt: Wir sind seine Ebenbilder. Kreativität ist Teil unseres Wesens als Menschen. Deshalb ist das Kreative, das Künstlerische ein Ort, an dem sich Gottheit und Menschheit häufig begegnen. Hier findet der Mensch nicht nur zu sich selbst, hier kann er auch zu Gott finden.

Was kannst du dafür tun, um ein Ebenbild Gottes zu sein? Gar nichts. Alles, was du tun kannst, ist dazusein. Das hast du mit jedem anderen großen Kunstwerk gemeinsam. Kunstwerke sind nicht dazu da, um einen Zweck zu erfüllen. Sie sollen keine Botschaft verkünden. Sie sollen nicht etwas Wichtiges verdeutlichen. Es ist kein Problem, wenn sie es tun. Aber das ist nicht der Grund, warum sie existieren. Sie werden dazu geschaffen, um dazusein.

Genau wie du. Du existierst um dazusein. Wenn du nicht da wärst, würde etwas fehlen. Oder eigentlich: Jemand. Du nämlich.

Weil wir Gottes Ebenbilder sind, leben wir das kleine Bisschen aus, das wir glauben, von Gott zu wissen: wie er ist, was er möchte, was er gutheißt und was nicht. Man könnte sagen, das ist ein künstlerischer Akt: Du predigst nicht, du verfasst keine Statements oder Manifeste, sondern du lebst. Du veranschaulichst das, was du glaubst. Und andere können sich das anschauen und sich darüber Gedanken machen.

In der Theologie nennt man das ‘Inkarnation’. Menschwerdung. Eigentlich: Fleischwerdung. Aber man könnte vielleicht auch sagen: Kunst. Du bist ein Kunstwerk. Du bist Gottes Kunstwerk.

2.

Es gibt etwas, das uns an Kunstwerken stört: Man versteht sie oft nicht. Sie sind so mehrdeutig. Mehrdeutigkeit finden wir unangenehm. Wir nehmen sie als Spannung wahr. Wir wollen wissen: “Ja, was stimmt denn jetzt: DAS oder DAS? Es kann doch nicht BEIDES bedeuten!”

Für unseren Glauben wünschen wir uns das auch: Eindeutigkeit! Je klarer, desto besser. Allerdings ist Mehrdeutigkeit gar nicht unbedingt ein Nachteil. Sie kann auch ein Vorteil sein. Sie ist sogar manchmal notwendig. Und vor allem ist sie schon immer ein Teil unseres Glaubens. Glaube fühlt sich in der Mehrdeutigkeit wohl. Das würde ich dir gerne ein bisschen erklären.

„Im Anfang war das Wort, und das Wort war bei Gott, und das Wort war Gott. Dieses war im Anfang bei Gott. Alles wurde durch das dasselbe, und ohne dasselbe wurde auch nicht eines, das geworden ist. […] Und das Wort wurde Fleisch und wohnte unter uns […]“ Joh 1,1-3,14a

Das steht im ersten Kapitel des Johannesevangeliums. Merkwürdige Worte. Der Evangelist Johannes meint mit dem WORT die Kraft Gottes, mit der er die Welt erschafft und durch die er zu den Menschen spricht.

Johannes schildert, wie dieses Wort Mensch wird, eine konkrete Person zu einem konkreten historischen Zeitpunkt an einem konkreten Ort: Jehoschua von Nazareth, Sohn des Zimmermanns Josef, irgendwo um das Jahr Null unserer Zeitrechnung.

Man könnte denken: DAS WORT ist etwas sehr Eindeutiges. Und wenn es dann noch Mensch wird und spricht und handelt, dann wird es noch eindeutiger. Dann lässt es an Eindeutigkeit nichts mehr zu wünschen übrig.

Wirklich?

Es gibt vier Berichte über das Leben von Jesus. Sie berufen sich auf Augenzeugen. Wir nennen sie ‘Evangelien’. Und sie widersprechen sich. Nicht immer, nicht in allen Punkten, aber an wichtigen Punkten:

Warum weiß Markus nichts von einer Jungfrauengeburt, wenn das so wichtig ist, dass es sogar im Apostolischen Glaubensbekenntnis vorkommt? Warum weiß Lukas nichts von dem grauenhaften Kindermord in Betlehem und der Flucht der Familie von Jesus nach Ägypten? Wo hat Jesus seine Schüler berufen – in Galiläa oder am Jordan, wo Johannes getauft hat? Was waren die Ereignisse rund um die Auferstehung von Jesus, und in welcher Reihenfolge fanden sie wirklich statt?

Das ist das eine: Ein gelebtes Leben ist nicht immer eindeutig nachvollziehbar. Und dann gibt es diese Situationen, in denen das Handeln von Jesus nur schwer zu verstehen ist.

Zum Beipiel bei dieser Gelegenheit, als Jesus zum Essen bei einem bekannten Pharisäer eingeladen ist. Da kommt diese Frau herein, kniet vor ihm nieder, küsst seine nackten Füße, weint sie nass, trocknet sie mit ihren Haaren und salbt dann seine Füße. Für Situationen wie diese wurde das Wort ‘cringe’ erfunden. Eine eindeutig zweideutige Situation! Erotisch aufgeladen bis zum Gehtnichtmehr!

Laut Johannes hat Jesus gesagt: „Ich bin der Weg, die Wahrheit und das Leben, niemand kommt zum Vater außer durch mich.“ Dieser Satz scheint sehr, sehr eindeutig zu sein. Trotzdem sind in den vergangenen 2000 Jahren viele christliche Glaubensbekenntnisse entstanden. Meistens ergänzen sie sich. Manchmal widersprechen sie sich auch.

Jesus ist eine Person. Er ist keine systematische Theologie mit 1000 Buchseiten. Wir Christen sagen: Er ist das perfekte Ebenbild Gottes. Er ist unser Vorbild, unser Maßstab, unser Ideal. Und ist immer wieder ist er sehr schwer zu verstehen.

An Jesus ‚glauben‘, ihm ’nachfolgen‘, ‚mit ihm leben‘ – das ist ein bisschen so, als würde man ein Kunstwerk betrachten: Es begegnen dir immer wieder neue Fragen. Dein Leben nimmt eine Wendung. Du veränderst dich als Person. Und dann begegnest du Jesus neu und sagst: „Ich habe bisher immer gedacht, ich hätte dich verstanden. Aber jetzt bin ich mir nicht mehr so sicher.“ Und Jesus sagt dann vielleicht: „Erzähl doch mal: Wie geht’s dir eigentlich?“

Kann sein, dass dich das unruhig macht. Du denkst vielleicht: „Wenn alles so unklar ist, dann wird alles total schwammig. Woher soll man dann wissen, was gilt und was nicht, was wahr ist und was falsch?“

Aber das muss dich nicht verunsichern. Mehrdeutigkeit ist nicht Beliebigkeit. Mehrdeutigkeit heißt: Es gibt Raum. Raum für mehrere Deutungen. Raum für Bewegung. Raum für Begegnung. Raum für Dialog.

Wir können vom Judentum lernen. Jesus war Jude, seine Schülerinnen und Schüler auch. Sie lebten und dachten total in einem jüdischen mindset. Das, was wir das ‘Alte Testament’ nennen, war für sie einfach ‚Die Bibel‘.

Die Bibel wurde ursprünglich auf Hebräisch geschrieben und gelesen. Im Hebräischen schreibt man nur die Konsonanten. Es gibt keine Zeichen für die Vokale – a, e, i, o, u. Du musst also, wenn du die Texte im Original liest, die Vokale im Kopf ergänzen.

Jetzt kommt es immer wieder vor, dass mehrere Worte dieselbe Folge von Konsonanten haben. Ein Beispiel auf Deutsch: Dir begegnen die Konsonanten WRT – was heißt das? Wort? Wert? Wirt? Warte?

Was machst du jetzt? Jetzt musst du überlegen, was im Zusammenhang am meisten Sinn macht. Das funktioniert natürlich. Aber manchmal gibt es immer noch mehrere Möglichkeiten.

Was passiert mit einem Text, wenn in ihm immer wieder Worte auftauchen, die mehrere Bedeutungen haben können? Er wird mehrdeutig. Es öffnen sich Deutungsräume. Genau wie bei einem Kunstwerk. Mehrdeutigkeit ist nicht Beliebigkeit. Mehrdeutigkeit heißt: Es ist Raum da für mehrere Deutungen.
Deshalb gibt es im Judentum unterschiedliche Auslegungen derselben Heiligen Texte. Und die stehen gleichberechtigt nebeneinander. Manchmal stehen sie auch gegeneinander. Aber in der Summe ergänzen und bereichern sie sich.

Mehrdeutigkeit. Raum. Weite. Begegnung. – Das ist Teil des Glaubens. Und zwar: Schon immer, von Anfang an.

3.

Es braucht im Glauben und im Leben eindeutige Aussagen, zu denen man sich stellen kann, auf die man sich berufen kann. Ich gebe dir Recht. In manchen Situationen muss man klare Standpunkte beziehen. Auch Jesus hat klare, eindeutige Aussagen gemacht. Aber diese klaren, eindeutigen Aussagen wollen gelebt werden. Und wir machen die Erfahrung, dass sich im Lebensvollzug immer wieder neue Fragen stellen.

Diese Mehrdeutigkeit, diese Weite ist kein Nachteil. Sie ist kein Fehler, kein Kompromiss. Wir können sie verstehen als einen Raum, in dem Begegnung stattfindet: mit anderen Menschen, mit mir selbst, mit Gott.

Begegnung braucht Raum. Sie braucht physische Räume, wie diesen hier. Aber sie braucht auch geistige Räume. Sie braucht Platz und Weite. Deshalb sind die heiligen Texte mehrdeutig. Deshalb kommt Gott nicht als Buch auf die Welt, sondern als Baby. Deshalb macht die Gottheit uns zu seinen Ebenbildern und baut keine Roboter oder Klone. Deshalb ist Kunst wichtig. Jedes Kunstwerk ist ein kleiner Deutungsraum.

In der Welt herrscht Krieg. Nicht nur im Osten Europas. Auch in unserer Gesellschaft tobt ein Kampf um Deutungshoheiten: Welche Maßnahmen in der Pandemie sind die richtigen? Wer sagt die Wahrheit im Ukraine-Konflikt? Gibt es eine große Verschwörung? Wer ist Freund, wer ist Feind?

Wir als Gemeinschaft stehen mittendrin, zwischen allen Fronten. Was können wir dazu beitragen, damit die Situation nicht eskaliert, damit weiterhin Begegnungen und Gespräche möglich sind?

Lasst uns Raum schaffen. Lasst uns den Mut zur Weite haben. Es gibt Momente, in denen sind wir dazu aufgerufen, einen klaren Standpunkt zu beziehen. Es gibt andere Momente, in denen müssen wir den Mut haben, den Raum weit zu machen.

Wir können uns das leisten. Das ist Teil unseres Glaubens. Schon immer. Und unser Gebet ist, dass Gottes Geist uns darin anleitet, das Richtige zum richtigen Zeitpunkt zu tun.


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Blue Grave

Virtuelles Gemälde, 2022 (Oculus Quest 2, App: Painting VR), 200 x 200 cm (virtuell).

Seit einiger Zeit male ich in der virtuellen Realität mit einer VR Brille und dazugehörigen Controllern. Das Programm, das ich nutze, bringt mich in mein privates Atelier (zurzeit eine urbane Skater-Halle mit coolem Ambiente und stickerbeklebten Rolltoren). Hier kann ich alle möglichen Formate und Größen bemalen.

Das Bild, das Du hier siehst, ist in der virtuellen Realität zwei mal zwei Meter groß. Ich habe es neulich erst gemalt und Blue Grave genannt, Blaues Grab. Es befasst sich mit der Tatsache, dass seit vielen Jahren Monat für Monat, Jahr um Jahr Menschen auf der Flucht nach Europa im Mittelmeer ertrinken.

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Eine Tatsache, an die wir uns quasi gewöhnt haben. Sie ist Teil unserer Wirklichkeit, einer Wirklichkeit, die gerade vor allem durch den Überfall auf die Ukraine, durch die Morde der russischen Armee an unschuldigen Zivilisten geprägt ist. Währenddessen ertrinken immer noch Menschen. Und sie sterben auch andernorts, immer noch in Syrien, immer noch im Jemen zum Beispiel.

Das Bild macht keine Aussage. Es stellt noch nicht einmal eine Frage. Das ist deshalb so, weil mir weder Aussage noch Frage einfällt. Alles, was ich sagen könnte, wären Plattitüden. Davon gibt es reichlich, so viele, dass es nicht noch mehr braucht. Ich kann aber auch nicht wegsehen. Niemand kann das. Man muss sehr viel mehr Aufwand betreiben, um vor dem Leid die Augen zu verschließen, als es zur Kenntnis zu nehmen, weil es allgegenwärtig ist.

Das bedeutet natürlich nicht, dass es uns noch erreicht. Solange wir nicht selbst erleben, wie jemand ertrinkt, können wir gar nicht anders, als uns vor allem unseren täglichen Fragen und Problemen zu widmen. Das ist eine Überlebensstrategie, die uns davor bewahrt, wahnsinnig zu werden. Schließlich sind wir nicht Gott. Wir haben die Gehirne von Säugetieren. Auch wenn sie ziemlich groß sind.

Ich habe das Bild gemalt, damit ich es weiter wahrnehme, was passiert, auch wenn ich nichts dagegen tun kann. Das Leid zu malen, ist genauso wichtig, wie Blumen, Landschaften, Porträts, abstrakte Formen zu malen. Es ist eine Möglichkeit, sich damit auseinanderzusetzen, es nicht zu verdrängen, sondern zu vergegenwärtigen. Denn schließlich geht es darum, Mensch zu sein und Mensch zu bleiben.

Ich wünsche Dir trotz allem eine tolle Woche. Bis nächsten Montag!

Dein Gofi

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Der gelangweilte Body Guard (aus der Reihe ‚Männer, die sitzen‘)

Eine Gruppe Jugendlicher hat sich vor einer Grotte versammelt. Sie wirken mäßig begeistert. Alle tragen sie blaue T-Shirts, die meisten weiße Sonnenhüte, was zeigt, dass sie sich nicht zufällig getroffen haben, sondern gemeinsam unterwegs sind. Ein Junge steht und liest etwas vor. Andere stehen nicht weit von ihm entfernt, lauschend, abwartend, als seien sie die nächsten, die etwas vorzutragen haben. Andere Jugendliche sitzen auf der Erde. Sie wirken so, als hörten sie zu. Vielleicht hängen sie aber auch ihren Gedanken nach. Zumindest scheinen sie den Vortragenden nicht zu unterbrechen. 

Nicht weit von ihnen entfernt sitzt ein Mann. Er ist nicht wirklich Teil der Gruppe, aber nah genug, um darauf schließen zu können, dass er dazu gehört. Außer seiner Kleidung und seinem kräftigen Körperbau kann man nichts von ihm erkennen. Er schützt sich energisch gegen die Sonne mit einem breitkrempigen hellen Hut, Jacke, langer Hose und einem hochgeklappten Kragen. Seine Stiefel sind schwer. Ihm muss warm sein. Wenn man sich derart gegen die Sonne schützen muss, muss sie kraftvoll sein. Aber offensichtlich schwitzt er lieber, als sich zu verbrennen.

An seinem rechten Hosenbund steckt in einem Holster eine automatische Pistole. Sie wirkt merkwürdig deplatziert in dieser friedlichen Szene freundlicher Langeweile. Warum trägt er eine Waffe? Bedroht er die Jugendlichen? Will er sie davon abhalten, davon zu laufen und etwas anderes zu tun, als Vorträgen über alte Grotten zu lauschen? Oder ist er zu ihrem Schutz da? Schutz vor wem? Wer sollte Jugendliche angreifen wollen, die sich mit historischen oder geologischen Studien beschäftigen?

Der Ort, an dem sich die Gruppe befindet, ist eine uralte Kultstätte. Sie wurde einst dem Gott Ba’al-Gad geweiht, später jedoch von den Seleukiden umgewidmet, als sie etwa 200 vor Christus ganz in der Nähe die Ptolemäer schlugen. Ihre bevorzugte Gottheit war Pan. Den Ort nannten sie Paneon. Später wandelte sich dieser Name zu Paneas. Und heute heißt er Banias. Er befindet sich im Hermon-Gebirge im Norden Israels. Auch die Bibel kennt ihn. Sie nennt ihn Cäsarea Philippi.

Jetzt wird auch klar, warum der Mann eine Waffe trägt und wie es zu diesem merkwürdigen Kontrast kommt zwischen der gelangweilten Schulatmosphäre und dem Tötungsinstrument an seiner Hüfte. Dieser Ort, dieses Land ist seit jeher umkämpft. Jederzeit ist es möglich, dass man irgendeiner banalen Sache nachgeht, Einkaufen zum Beispiel oder Busfahren oder ein Kaffekränzchen besuchen oder einen langweiligen Vortrag hören über eine ehemals heilige Grotte, und plötzlich eine Katastrophe erlebt. Natürlich, Katastrophen sind immer möglich, aber nicht überall auf der Welt bestehen sie darin, von einer Kugel getroffen oder mit einem Messer angegriffen zu werden oder einem Bombenattentat zum Opfer zu fallen. Nicht überall. Aber an vielen Orten der Welt. Dies ist einer davon. 

Es sind Sommerferien. Die Jahreszeit ist heiß, aber hier im hohen Norden Israels ist es erträglich. Zu Hause gibt es für diese Jugendlichen nicht viel zu tun. Stellenweise stammen sie aus schwierigen Verhältnissen. Deshalb gibt es Programme, die ihnen Abwechslung, Zeitvertreib und Bildung verschaffen. Sie sind an diesem Tag nicht die einzige Gruppe in der Gegend. Immer wieder begegnet man gelangweilten jungen Menschen in blauen, gelben oder grünen T-Shirts. Und sie alle werden begleitet von Männern verschiedenen Alters, die ausnahmslos automatische Schusswaffen bei sich tragen – Pistolen, Maschinenpistolen, auch Gewehre. Sie mustern vorbeigehende Passanten misstrauisch und wechseln die schwere Waffe von der einen in die andere Hand.

Den Schülerinnen und Schülern merkt man nicht an, dass sie die Situation für besonders aufregend halten. Es macht den Eindruck, als seien sie es gewohnt, von bewaffneten Männern begleitet zu werden, als sei es normal, dass sie Schutz vor Angriffen bräuchten. Vielleicht haben sie noch nie einen Angriff erlebt und halten die Vorsichtsmaßnahne für übertrieben. Vielleicht aber kennen sie auch persönlich Opfer solcher Attentate und haben sich mit der Tatsache abgefunden, dass das Leben in diesem Land so ist. Es gibt Menschen, die sterben durch Unfälle, andere werden erschossen oder in die Luft gesprengt. Shit happens.

Ob der Mann dem Vortrag des Jugendlichen lauscht, ist unklar. Vielleicht tut er es wirklich, während er die Gurte seines Rucksacks neu richtet. Vielleicht ärgert er sich über die Hitze oder darüber, dass sein Hintern weh tut, weil der Stein, auf dem er sitzt, drückt. Er macht nicht den Eindruck nervös zu sein, misstrauisch die Umgebung zu scannen, auf einen Angriff zu lauern. Auch von ihm geht ein Gefühl der Langeweile aus. Und darüber ist er sicher froh. Wenn alles gut geht, wird er heute Abend nach Hause gehen, ohne einen Schuss abgefeuert zu haben, mit der vagen Erinnerung an einen Schülervortrag über den Schrein des Pan im Gedächtnis und der Gewissheit, dass er sein Geld auf ziemlich bequeme Weise verdient hat.

Ob er irgendetwas über Pan weiß? Vielleicht erinnert er sich an dessen Ziegenfüße. Und dass er gerne Wein trank. Vielleicht macht er sich selber einen herrlichen Wein von den Hängen des Golan auf, die ganz in der Nähe sind, und prostet dem Gott zu. Vermutlich aber nicht. Wahrscheinlicher ist es, dass er ein Dosenbier öffnet und die Glotze anmacht.

Pan. Der Gott des Rausches, der Ekstase und der Besessenheit. Pan, Liebhaber und Beischläfer der Nymphen, Ausrichter legendärer Orgien, zu dessen Ehren die Menschen soffen und vögelten, was und wer immer sich dazu einfand. Hier. In dieser Grotte. Vor der die gelangweilten Jugendlichen stehen und sitzen, vor der er sitzt, auf einem harten Stein, schwitzend, mit einer Waffe am Gürtel, die er noch nie gezogen hat. Welch ein Kontrast. Das ist der Unterschied zwischen Theorie und Wirklichkeit. Eine Wirklichkeit, die ihm hoffentlich nie begegnet.

Denn Pan kennt auch die Ekstase des Krieges. Er ist es, der den Feind panisch werden lässt, der ihn mit Schrecken erfüllt, damit man ihn leichter erschlagen kann. Sicher, eine Schlacht zu gewinnen ist gut. Aber pathetische Beschreibungen ruhmreicher ‚Kriegerpoeten‘ lesen sich angenehmer, wenn man in der Sicherheit seines Wohnzimmers hockt. Besser noch als ein siegreicher Kampf ist gar kein Kampf. Oder?

Oder wünscht sich der Mann, der sitzt, in Wirklichkeit heimlich, dass ihm irgendjemand einen Anlass geben möchte, seine Waffe zu ziehen und zu feuern? Sehnt er sich nach der Ekstase des Gottes, nach dem panischen Flackern in den Augen eines Feindes? Hätte er nicht doch Lust, sich mächtig zu fühlen, während das Adranlin die Explosion des Mündungsfeuers in seinen Ohren dämpft, während er den Griff seiner Pistole umklammert und den Rückstoß der Waffe durch den Arm bis hoch in die Schulter spürt?

Jetzt blickt er auf und sieht sich um. Aber es naht sich niemand. Bis auf diesen Touristen mit dem riesigen Fotoapparat. Die Schüler sind fertig, die Gruppe regt sich. Zeit, weiterzugehen.


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Der Comic-Händler (aus der Reihe ‚Männer, die sitzen‘)

Es gibt Leute, die glauben, dass Comics nur etwas für Kinder und Jugendliche sind. Das ist natürlich falsch. 

In der Cobains-Erben-Folge „Comics: Eine unterschätzte Kunstform“  erklärt uns der Zeichner Jörg Peter, warum man Comics ernstnehmen sollte. Und in der Folge „Sind die Held*innen am Ende?  – Über Superheld*innen und ihren Absturz“  führen Jay und ich das Gespräch fort und zerlegen verschiedene Superhelden-Comics in ihre Einzelteile. Ich finde, das ist ganz schön erstaunlich, was wir dabei zutage fördern und wie energisch Comics das Leben, die Gesellschaft und unsere Zeit kommentieren.

Ich frage mich, wie der Comic-Händler das alles sieht.

(Lies den Rest hier weiter.)

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Kunst und die Rede von Gott

Ich ziehe seit Jahrzehnten nomadisch durch das Internet, errichte mir irgendwo eine virtuelle Heimat, hege und pflege sie, bis ich sie wieder verlasse und weiterziehe. Inzwischen gibt es hier und dort Web-Ruinen, die ich früher einmal bewohnt habe. Ihre Einrichtung ist stellenweise noch da, es mögen sich noch immer von Zeit zu Zeit einzelne Leser*innen finden, die sich kurz niederlassen, in einen Artikel hineinlesen und dann weiterziehen.

Neulich habe ich eine dieser Ruinen wieder aufgesucht. Sie heißt marburger syndikat.

(Lies den Rest hier weiter.)

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Der Fußballfan (aus der Reihe ‚Männer, die sitzen‘)

Es gibt viele Gründe, sich zu setzen. Der häufigste ist der, dass man nicht stehen oder liegen möchte. Beim Stuhlgang zum Beispiel setzt oder hockt man sich in der Regel. Vermutlich kommt daher das Wort, auch wenn die Franzosen beispielsweise, vor allem die aus dem südlichen Teil des Landes, keinen Stuhl für den Stuhlgang benötigen. Gäste aus Deutschland bringt das schon einmal in Bedrängnis, denn diese Art des Stuhlgehens ohne Stuhl will gelernt sein. Ich meine natürlich den einen Stuhl, nicht den anderen. Du verstehst.

Richter sitzen zu Gericht. Auch wenn es angerichtet ist, setzt man sich meistens, es sei denn, man möchte im Stehen essen. Dann muss man es aber schon eilig haben. Oder man hat bereits lange gesessen und freut sich darüber, die Beine strecken zu können. Auch unsere Arbeit findet ja, zumindest bei sehr vielen, im Sitzen statt. 

Dieser Mann sitzt, weil er wartet.

(Lies den Rest hier weiter.)

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Das erste Kapitel meines neuen Romans – vorgelesen von mir

Neulich habe ich einigen meiner Unterstützer*innen bei Steady das erste Kapitel meines neuen Romans vorgelesen, an dem ich gerade arbeite. Wenn Du willst und mich auch bei Steady unterstützt, kannst Du die Lesung hier nachhören.

Die Handlung führt Dich in die Wohnung einer jungen Frau namens Susanna, die Du auch schon aus meinem ersten Roman TimTom Guerilla kennen könntest. Sie muss sich schlagartig mit einer völlig neuen Lebenswirklichkeit herumschlagen und hat absolut keine Ahnung, wie sie das anstellen soll.

Viel Spaß beim Zuhören!

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