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Kategorie: Uncategorized

Meet the Artist online – am 26. August!

Die Sommerpause ist vorbei, zumindest in Hessen, wo ich lebe. Höchste Zeit, dass wir etwas wiederholen, was schon im Juni ganz toll geklappt hat: ein gemeinsames Hang Out im Internet. Lass uns reden, oder stell mir Fragen, die Du schon immer mal loswerden wolltest.

Die Sache ist ganz einfach: Ein oder zwei Tage vor unserem Treffen schicke ich an alle Steady-Supporter den Link zum Meeting. Um halb acht geht es los. Wir erzählen, wie es uns in den letzten Wochen ergangen ist, ich erzähle, woran ich arbeite und was mich beschäftigt, Du stellst Fragen oder hörst einfach zu. Und möglicherweise lese ich sogar etwas vor. Vielleicht kommt alles auch ganz anders.

Das Schöne an diesem Treffen ist, dass es zwanglos ist und es kein Programm gibt. Gegen neun verabschieden wir uns. Bis zum nächsten Mal.

Willst Du dabei sein? Würde mich freuen. Hier noch einmal die Details: Mittwoch, 26. August 19.30h – 21h
online

Den Link erfahren alle, die Teil meines Steady-Supporter-Teams sind, von mir kurz vorher (es ist derselbe, wie das letzte Mal).

Ich freu mich auf Euch. Bis dann!

P. S. Du möchtest gerne bei dem Treffen dabei sein, bist aber noch kein Teil meines Unterstützer-Teams? Dann schau doch mal hier oder hier vorbei und überlege, ob Du mir nicht auch ein bisschen helfen möchtest. Für den Preis eines Kaffees im Monat bist Du schon dabei. Würde mich freuen, Dich bald als Unterstützer*in im Team begrüßen zu dürfen!

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Neugierig bleiben

Meine Feunde Jonathan und Michael aus Berlin entwickeln gerade eine neue Plattform, die sich mit Kunst beschäftigt. Sie nennen sie VETA, ein Begriff aus dem Schwedischen, der übersetzt ’neugierig sein‘ heißt.

VETA wird, wenn ich das richtig verstanden habe, eine Art Magazin werden, auf dem verschiedene Formate zu finden sein werden. Kürzlich gestartet ist der VETA-Podcast, in dem die beiden sich mit Kunstschaffenden aus allen Sparten unterhalten. Auch ich bin bereits ihr Gesprächspartner gewesen. Diese Folge wird bald online gehen.

In einem fast zweistündigen Gespräch haben Jonathan und Michael mich ausgefragt zu Themen, über die ich schon länger nachdenke.

Ich habe meine Antworten verschriftlicht, weil sie vieles zusammenfassen, was mir wichtig ist, und stelle sie euch hier zur Verfügung. Wer mir lieber zuhören möchte, kann ja auf die Folge warten. Sowieso lohnt es sich, VETA im Blick zu behalten, da scheint gerade etwas sehr Schönes zu entstehen.

Und nun zu meinem Antworten auf Jonathans und Michaels Fragen:

0. Ich seh mich selbst zunächst als Schriftsteller, das ist meine Hauptprofession, würde ich sagen, ich schreibe Geschichten, ich schreibe Romane und habe weitere im Kopf, die ich alle noch schreiben möchte: Das ist das, was ich machen möchte, bis ich gar nicht mehr kann, bis ich tot bin. Ich habe zwischendurch auch Musik gemacht, ich habe Musikalben produziert, aber da ist keine Karriere draus geworden. Manchmal arbeite ich mit Bildern, ich fotografiere analog, es hat eine Phase gegeben, in der ich gemalt habe. Und das ganze subsummiere ich unter dem Motto ‚Kunst ist die Beschäftigung mit der Welt anhand ästhetischer Mittel‘. Ich versuche einfach, anhand ästhetischer Mittel meine Welt kennenzulernen, mich besser kennenzulernen, herauszufinden, was es mit dem Leben auf sich hat, und wenn mir was in die Quere kommt, wo ich Lust drauf habe, was ich gerne ausprobieren möchte, dann mach ich das.

01. Ich bin ein gläubiger Mensch. Diese Art von Gläubigkeit hat im Lauf der Jahrzehnte ihre Wandlungen vollzogen, aber es stimmt: Meine Frömmigkeit hat einen mystischen Zug. Ich bin empfänglich für Erlebnisse im Rahmen meines Glaubens, auch für solche, die sich mir nicht unbedingt sofort rational erschließen. Und was deutlich hinzugekommen ist in den letzten Jahren zu dieser mystischen Sicht auf die Welt, ist das Verständnis, dass alles eins ist, dass alles eine Quelle hat und dass alles irgendwie zusammengehört. Ich versuche zum Beispiel gerade herauszufinden, inwiefern Tiere meine Gegenüber sind. Ich docke da an bei franziskanischer Frömmigkeit, in der andere Lebewesen, andere Geschöpfe als Brüder und Schwestern bezeichnet werden. Das fand ich früher eher niedlich, ein süßes Bild, wenn man sein Haustier als Bruder bezeichnet, aber ich glaube, da steckt eine ganz tiefe Ernsthaftigkeit dahinter: Dieses Bewusstsein, dass man zusammengehört. Diese Sicht auf die Welt ist für mich in den letzten Jahren immer wichtiger geworden, dieses Die-Welt-Wahrnehmen, nicht in Wolkenkuckucksheim leben oder in frommen Theorien rumspinnen, sondern die Welt wahrnehmen, die Natur, die Menschen, die Dinge, die eben da sind und darin eine spirituelle Qualität zu sehen, das ist für mich persönlich wichtiger geworden, und das ist tatsächlich auch ein Antrieb für meine Arbeit. Ich sehe auch mein künstlerisches Arbeiten als einen Ausdruck meiner Spiritualität. Das ist nicht unbedingt inhaltlich immer nachvollziehbar, dass ich mir  also nur über Gott oder das All, das Universum Gedanken mache, sondern die Beschäftigung mit der Welt ist das eigentlich Spirituelle. Und das ist verbunden mit meiner Neugierde: Ich will wissen, was hinter der nächsten Kurve auf mich wartet.

02. Ich würde nicht sagen: Jeder Künstler sollte spirituell sein. Ich würde als spirituell interessierter Mensch sagen: Wer immer sich künstlerisch betätigt, hat auch Zugang zu einer ganz persönlichen Spiritualität. Das würde ein/e nichtglaubende/r Künstler/in natürlich ablehnen. Das ist für mich auch in Ordnung. Ich will nicht die Kunst spiritualisieren. Ich finde nur, dass Kunst und Religion schon sehr viele Gemeinsamkeiten  haben. Sie sind natürlich nicht dasselbe, aber sie ähneln sich häufig. Sicher auch aufgrund meiner Biografie sage ich: Für mich liegt beides sehr nah beieinander.

03. Mein Eindruck ist, dass wir in der Regel versuchen, so glatt wie möglich zu leben, so reibungslos, so gradlinig wie möglich, ohne dabei viel Zeit zu verlieren. In unserer Kultur scheint das so eine Art unausgesprochenes Lebensmotto zu sein. Es würde uns guttun, wenn wir nicht ständig versuchen würden, die Kurven zu vermeiden. Ich bin überzeugt, dass das Leben genug Kurven zeichnet: Es kommen dir immer wieder irgendwelche Dinge in die Quere, das lässt sich nicht verhindern. Und ich glaube auch nicht, dass das notwendig ist. Man sollte die Kurven mitnehmen, wenn sie kommen. Ich sehe darin auch viel Positives. Es kostet vielleicht Lebenszeit, der Progress ist vielleicht nicht so schnell, so gradlinig, wie man sich das vorgestellt hätte, aber in diesen Kurven lernt man sehr viel, und gerade als Künstler/in ist das unschätzbar. Du kannst nur über das glaubhaft arbeiten, was du auch zu einem gewissen Grad selbst erlebt hast.

04. Ich habe Probleme mit dem Wort ‚progressiv‘ als Selbstbezeichnung, weil ich finde, dass das ein wertender Begriff ist. Wer sich als progressiv bezeichnet, meint damit wahrscheinlich, dass sie/er fortschrittlich ist. Da schwingt natürlich mit, dass man fortschrittlicher ist als jemand anderes, der noch stehengeblieben ist, der diesen Fortschritt eben nicht mitgegangen ist. Ich persönlich mag die Bezeichnung deshalb nicht für mich selber, weil ich mich nicht als schlauer empfinde als irgendjemanden anderes, auch nicht schlauer als konservativere Menschen. Wir irren an unterschiedlichen Punkten.
Ich denke, dass künstlerisch arbeitende Leute immer wieder danach suchen, wie sie gesteckte Grenzen weiten können, überschreiten können, Barrieren überwinden können. Wir suchen nach neuen Ausdrucksformen, neuen Sichtweisen, und das bedeutet für mich, dass ich alte Pfade verlasse und mich auf neue begebe, um zu schauen, was es noch zu entdecken gibt. Das ist mein künstlerisches Verständnis. Es lässt sich insofern beobachten, dass die allermeisten Künstler/innen eher progressiv-liberal eingestellt sind. Aber es gibt natürlich auch die anderen, die total reaktionär sind, gerade auch in ihrer künstlerischen Ausdrucksform.

05. Es gibt ein Thema, das bei mir immer wieder auftaucht, und das ist, dass das Große und Schöne im Schlichten und Banalen zu entdecken ist. Das ist das Thema, das mich besonders umtreibt. Das ist mir quasi auf meinem Lebensweg passiert. Ich habe an mir selbst entdeckt, dass ich, so wie wahrscheinlich die allermeisten Leute es tun, versucht habe, das Banale zu vermeiden – der langweilige Alltag, das Stereotype, das ständige Wiederkehren der normalen Dinge – und stattdessen immer nach den Hochs gesucht habe, nach den ganz ‚wichtigen‘ Momenten. Irgendwann ist mir aufgefallen, dass 99 Prozent meines Lebens aus Banalitäten bestehen. Ich habe mich deshalb entschieden, das Banale zu würdigen und mich im Schlichten, Einfachen auf die Suche zu machen nach dem Schönen. Das hat zu einer eher holistischen, mystischen Weltsicht geführt. Denn mit dieser Sicht auf die Welt sieht man kleine Dinge, in denen plötzlich eine gewisse Schönheit und Bedeutung aufleuchtet, und ahnt: Die Welt ist tiefer, weiter und größer, als es oft den Anschein hat. Man muss dafür nicht unbedingt nach Dubai reisen, man kann das auch in dem Dorf oder dem Stadtteil erleben, in dem man gerade lebt, wo die Welt so schlicht und langweilig zu sein scheint. Gerade hier lässt es sich entdecken. Diese Erkenntnis zieht sich durch die Songtexte, die ich schreibe, durch die Geschichten, durch die Bilder, die ich mache.

06. Huchting ist ein nicht besonders gut angesehener Stadtteil von Bremen. Es leben dort einige wenige reiche Leute, es gibt aber mehrheitlich ärmere Leute oder Leute in bescheidenen Verhältnissen, es gibt ganz viele Leute, die einen Migrationshintergrund haben und viele soziale Probleme. Ich habe darüber ein Buch geschrieben, denn ich bin dort aufgewachsen und habe irgendwann gemerkt, dass der Stadtteil ein wichtiger Teil meiner Biografie ist. Über lange Jahre habe ich das so nicht wahrhaben wollen, weil Huchting eben nur Huchting ist, bis ich gemerkt habe, welche Spuren dieser Ort und auch die Leute, die dort leben, bei mir hinterlassen haben: wie ich denke, fühle, was ich schön finde oder eben nicht. Deshalb habe ich mich entschieden, das ganze offensiv anzugehen und darüber ein Buch zu schreiben.  Es heißt ‚Huchting‘, ist im Frühjahr 20 herausgekommen und verkauft sich bisher nicht gut. Womöglich, weil die meisten Leute sagen: ‚Huchting? Who gives a shit?‘ Ich finde aber eben schon, dass dieser Ort eine besondere Kraft hat. Ich habe mich daran erinnert, dass das der Ort ist, an dem ich die Abenteuer meiner Kindheit erlebt habe: all die magischen Erlebnisse, die Kämpfe auf Leben und Tod, die nächtelangen Ritte durch die Prärie, die Duelle auf irgendwelchen Klippen. Meine kindlich-magische Welt hatte ihre Heimat in Huchting. Deshalb fand ich es gut, über diesen eher verpönten Ort Geschichten zu schreiben, denn wann immer du ein Thema aufnimmst und es künstlerisch bearbeitest, machst du es größer. Du gibst dem Gewicht, eine Bedeutung.

07. Das ist eine ständige, spannungsreiche Beziehung: die Alltagspflichten und mein Bedürfnis, künstlerisch zu arbeiten. Der Alltag steckt einen strengen Rahmen, an den ich mich halten muss und der es mir immer wieder auch unmöglich macht zu arbeiten. Das ist einerseits ein Konflikt, weil die kreative Arbeit dadurch verhindert wird, andererseits ist der feste Rahmen auch eine Inspiration, ein Ansporn. Ich weiß zum Beispiel: Morgen um diese Zeit sind die anderen Familienmitglieder aus dem Haus, dann habe ich einen Zeitraum von einigen Stunden, in denen ich etwas machen kann. Diese Zeit nehme ich mir und genieße sie. Wenn ich über längere Zeit nicht auf diese Weise zum Arbeiten komme, werde ich unausgeglichen.

08. Anfangs habe ich den Alltag vor allem als Hindernis für die Arbeit gesehen und war darüber unglücklich. Wenn ich kreative Prozesse abbrechen musste oder gar nicht erst zu ihnen kam, gerade auch bei Projekten, die über längere Zeit gehen, konnte ich sehr übellaunig sein. Es hat lange gebraucht, bis ich gemerkt habe, dass der Alltag mit seinen Zufällen nicht nur ein Hindernis ist, sondern auch eine Inspirationsquelle. Die unauflösbare Spannung ist wahnsinnig fruchtbar, und zwar dann, wenn ich aufhöre mich dagegen zu wehren und die Dinge nehme, wie sie sind. Am Ende zahlt es sich aus. Es gelingt mir nicht immer. Aber die grundsätzliche Erkenntnis: ‚Eigentlich ist es gut‘, die gibt mir eine gewisse Ruhe, in den Momenten, in denen es geht, zu arbeiten und in den anderen es hinzunehmen, dass es nicht geht. Dadurch gewinnt die Arbeit eine gewisse natürliche Dynamik. Dabei versuche ich weiter, mich an feste Zeiten zu halten und nicht lediglich darauf zu warten, dass ich mich inspiriert fühle. Ich fange gerne morgens an und höre mittags wieder auf – wenn es denn möglich ist.

09. Ich glaube an Fleiß und Regelmäßigkeit. Ich glaube nicht, dass man nur dann arbeiten kann, wenn man sich wirklich danach fühlt. Meiner Erfahrung nach stellt sich der Flow irgendwann ein, so ähnlich wie beim Jammen in der Musik. Es lohnt sich, erst einmal anzufangen. Manchmal passiert der Flow nicht, aber das ist nicht schlimm. Es wird ein anderer Tag kommen, da wird er wieder da sein. Ich denke, dass Künstler/innen produktiv sein können, solange sie noch nicht satt sind. Das kann sich in Neugierde ausdrücken oder in einer gewissen sexuellen Lust. Künstlerische Arbeit ist letztlich etwas Erotisches. Wenn du satt bist, ist es wahnsinnig schwer, diese kreative Spannung aufzubringen, die du brauchst, um künstlerisch etwas zu schaffen. Deshalb gelingt gute Kunst häufig gerade in schwierigen Phasen des Lebens.

10. Als Künstler/in braucht man eine gewisse Sensibilität der Welt gegenüber, die Bereitschaft, die Dinge wirklich wahrzunehmen, so wie sie sind. Und wenn das der Fall ist, kann man sich eigentlich nicht satt und zufrieden zurücklehnen. Vielleicht liegt hier auch tatsächlich die Verantwortung der Kunstschaffenden: dass die Kunst das Weltgeschehen begleitet und kommentiert und neue Perspektiven anbietet und sich auch daran abarbeitet, weil man die Dinge nicht einfach so sein lassen kann, wie sie sind. Das lässt sich natürlich psychisch nicht immer leicht aushalten. Vielleicht ist es kein Wunder, dass viele Künstler/innen früh sterben.

11. Kunst ist eine geistige Arbeit. Natürlich brauchst du manchmal auch die Hände, ein gewisses Handwerk, Technik und so, aber der eigentliche Punkt an der künstlerischen Arbeit ist der, dass sie geistige Arbeit ist. Und wer seinen Geist trainiert und pflegt, investiert auch in seine künstlerische Arbeit. Ein intelligenter Künstler, eine kluge Künstlerin schafft bessere Arbeit als ein Idiot. Deshalb kann ich nur jeden ermutigen: Bilde dich fort. Das Thema ist egal. Man muss als Musiker nicht nur Musikliteratur lesen oder sich als Fotograf nur mit Fotografie beschäftigen. Alles ist dafür da, um den Geist zu weiten. Am Ende besteht die künstlerische Arbeit darin, dass man das, was man glaubt, von der Welt verstanden  zu haben, oder die Fragen, die man hat, individuell ausdrückt, auf die Art, die man für sich gefunden hat. Aber da ist eben jede Menge geistige Arbeit im Vorfeld notwendig.

12. Wenn ich mich bilde, sehe ich das als eine Investition in meine eigene Persönlichkeit. Und was ich dann in mir aufbaue an Wissen, Charakter, Persönlichkeit, das fließt wieder zurück in meine Arbeit. Das ist also eine mittelbare Investition in die Kunst. Es kann sein, muss aber nicht sein, dass ich Themen, über die ich mich fortgebildet habe, eins zu eins künstlerisch umsetze. Aber ich als Mensch werde weiter und offener gegenüber der Welt. Auf der Grundlage dieses erworbenen Wissens kann ich meine Arbeit machen, und die wird davon beeinflusst werden.

13. Ich glaube, Künstler/innen haben die Verantwortung, sich mit der Welt zu beschäftigen und neue Perspektiven anzubieten. Das ist ihre gesellschaftliche Rolle, dass Menschen sich dann wieder mit ihrer Arbeit beschäftigen können und die Welt, das Leben aus neuen Blickwinkeln betrachten können. Das hat meiner Ansicht nach eine gewisse spirituelle Note: die Kunst als Wegweiser. Dafür ist es notwendig, sich nicht einzubunkern oder sich in seinen Elfenbeinturm zurückzuziehen und da seine Sachen zu machen, sondern rauszugehen und sich mit der Welt zu beschäftigen, sich weiterzubilden. Ich gebe aber zu, dass das mein persönliches Kunstverständnis ist und dass man das natürlich auch anders sehen kann.

14. Wirtschaftlich gesehen wäre es für mich besser, wenn ich mich nur mit einer konkreten Kunstform beschäftigen würde, weil ich dadurch schneller ein bestimmtes Publikum mit einem ganz konkreten Interesse aufbauen würde. Das Problem ist, dass ich so schnell gelangweilt bin. Und Langeweile finde ich schlimmer als wirtschaftlichen Misserfolg. Ich finde die Vorstellung grauenhaft, dass ich immer ein und dasselbe machen müsste, weil das nun mal mein Markenzeichen geworden ist. Wie zum Beispiel das Ehepaar Becher, das immer Industrieanlagen fotografiert hat, immer im selben Stil.
Möglicherweise bin ich innerlich auch zu sehr getrieben. Es ist natürlich auch Lust an der Arbeit, aber eben auch das Gefühl, dass es weitergehen muss und dass es niemals genug ist, und dass es keinen Stillstand geben darf. Vielleicht liegt das daran, dass die kapitalistische Gesellschaft mich stark geprägt hat. Sicher liegt es auch an der der Realität der Social Media, für die nur das relevant ist, was gerade passiert: Nur das, was gerade passiert und dann dokumentiert und inszeniert wird, wird tatsächlich als existent registriert.

15. Wer nicht etwas like-bares vorzuweisen hat, gerät in Vergessenheit. Wenn du nicht nachvollziehbar passierst, existierst du in der Wahrnehmung der Leute auch nicht. Deshalb ist es ein Problem als Künstler relevant zu bleiben, wenn du an einem längerfristigen Projekt arbeitest wie zum Beispiel einem Roman. Was man dann also vorzeigt, sind Making-ofs, Blicke hinter die Kulissen usw. Das machen wir deshalb, weil das Werk noch nicht fertig ist und wir noch nichts anderes vorzeigen können als das, was wir gerade so tun. Aber wenn wir dazu nicht bereit sind, ‚passieren‘ wir nicht in den Social Media und geraten in Vergessenheit. Der Output von Content hat Auswirkungen auf deine Relevanz. Wenn du regelmäßig Content produzierst und publizierst, behalten dich die Leute auf dem Schirm. Natürlich gibt es Künstler, die sich das leisten können, vollkommen von der Bildoberfläche zu verschwinden, weil sie interessanter werden, je länger sie verschwunden sind. Aber das gilt für die allerwenigsten. Die meisten von uns sind so klein und unbekannt, dass wir, wenn wir gar nichts machen, einfach weg sind. Das führt auch zu einem gewissen Getriebensein.

16. Man könnte natürlich auch einen andern Weg gehen und sagen: ‚Die Marktmechanismen interessieren mich nicht, ich will mit dem, was ich mache, ein Statement machen.‘ Es geht dann nicht darum, wirtschaftlich erfolgreich zu sein, sondern einfach ein gutes Stück Arbeit in die Welt zu setzen und damit zufrieden zu sein, dass ein paar Leute es entdecken und es zu schätzen wissen. Und dann hat das auch seinen Wert.

17. Es ist während der Coronakrise viel von der Gesellschaftsrelevanz der Kunst gesprochen worden, als es vielen soloselbständigen Künstler/innen sehr schlecht ging. Im Bewusstsein der Gesellschaft ist das nicht angekommen, wie relevant die Kunst wirklich ist. Das ist ein bisschen verrückt, denn wir sind alle Konsumenten kultureller Güter: Geschichten, Bücher, Musik, Filme, Serien, Bilder, PC-Games … Wir konsumieren das alles in riesigen Mengen. Und es scheint vollkommen in Ordnung zu sein, wenn man dafür fast nichts bezahlt, kostenlos ist noch besser, Hauptsache viel! Wenn all das wegfallen würde, würde man das sehr stark merken und zwar nicht nur deshalb, weil man dann nicht mehr wüsste, wie man sich die Zeit vertreiben soll. Die Geschichten, die erzählt werden, prägen stark das Selbstverständnis einer Kultur, die Geschichten, die wir uns selbst erzählen, denen wir zuhören, wer für uns Helden sind oder Schurken, was gut ist und böse, was erstrebenswert ist. All diese Kulturgüter erzählen diese Geschichten, stellen sie uns in Bildern vor Augen, und wir integrieren das in unser Weltbild, in die Art und Weise, wie wir die Welt verstehen und auch uns selbst, wie wir uns selbst gerne sehen möchten. Das ist sehr gesellschaftsrelevant, das prägt das ganze Selbstverständnis einer Kultur. Und das ist nicht im Bewusstsein der Mehrheit angekommen. Wir Künstler/innen sind ein netter Zeitvertreib, wir sind nice to have, wir sind das IKEA-Bild über dem Sofa. Wenn eine Gesellschaft die Bedeutung der Kultur ernst nehmen würde, die Relevanz der Kulturschaffenden und der Kulturgüter, dann würde sie da hinein investieren, dann würde sie es vielleicht sogar möglich machen, dass man davon leben kann. Was ich mir wünsche, sind kleine Gemeinschaften innerhalb der großen Gesellschaft, die sagen: ‚Diese Art von kultureller Arbeit finden wir so wichtig, dass wir sie erhalten wollen. Wir möchten dafür sorgen, dass die Leute, die sie herstellen, davon leben können.‘

18. Eine Gesellschaft erzählt sich selbst die Geschichten, die sie am liebsten hören möchte. Und die beliebtesten und erfolgreichsten Geschichten sind die bestätigenden: Das sind die Geschichten, die die Dinge, so wie sie sind, bekräftigen und unterstreichen. Diese bestätigenden Geschichten sind deshalb erfolgreich, weil sich eine Mehrheit unter den beschriebenen Umständen wohlfühlt und deshalb auch die bestätigenden Geschichten mag. Natürlich gibt es auch immer Minderheiten, die sich unter den gesellschaftlichen Umständen nicht wohlfühlen, sogar darunter leiden. Kunst kann sich aber entscheiden, ob sie affirmativ oder subversiv sein will: Sie kann auch andere Geschichten erzählen, die die Verhältnisse eben nicht bestätigen, sondern hinterfragen. Diese Kunstformen erzählen alternative Geschichten, Gegenerzählungen, die die Erwartungen unterlaufen. Ich sehe darin eine große Verantwortung der Kunst. Man kann als Künstler/innen bestehende Machtverhältnisse nicht immer nur bestätigen. Allerdings ist das der sicherste Weg zum Erfolg. Deshalb zucken viele von uns zurück und sagen: ‚Ich würde gerne mal was anderes machen, aber ich kann mir das nicht leisten.‘ Jede/r muss sich fragen, was ihr/ihm wichtiger ist: den Job ernst nehmen oder über die Runden kommen.

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Das Leben leben, ohne zu urteilen (Hossa Talk #142)

In unserem Podcast Hossa Talk sprechen Jay und ich mit meiner Lektorin Sarah Koller über ‚Huchting‘. Zuerst erschienen ist diese Folge auf der Seite https://hossa-talk.de. Es gibt jede Menge Hintergrundinformationen zum Entstehungsprozess des Buches. Klickt einfach auf die Überschrift des ersten Kapitels, dann geht es los. Viel Spaß!

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Thomas Merton: Ein Wort an Dichterinnen und Dichter

In dem Band ‚Raids on the Unspeakable‘ (New Directions, New York 1966) hat der 1968 verstorbene Trappist und bekannte Mystiker und Dichter Thomas Merton eine Sammlung von verschiedenen Essays veröffentlicht, die sehr lesenswert, oft aber auch dunkel und poetisch sind, weshalb es sich anbietet, sie immer und immer wieder lesen.

Darunter ist auch ein Text, den er 1964 geschrieben hat. Es ist eine Botschaft an junge Dichterinnen und Dichter, die vor allem aus Lateinamerika stammten und sich in Mexico City trafen.

‚A Message to Poets‘ richtet sich an DichterInnen, aber auch an andere KünstlerInnen und schließlich an jeden, der sich dem Leben verpflichtet fühlt und die Notwendigkeit erkennt, gegen unterdrückerische und ausbeuterische Ideologien aufzustehen. Es ist ein Text, der aus einer tiefen Gläubigkeit schöpft und darin Motivation findet, sich den Dingen der Welt entschlossen zuzuwenden.

Ich habe den Text ins Deutsche übersetzt/übertragen, weil ich keine deutsche Version davon finden konnte und weil ich ihn für wichtig halte. Eine der nächsten Goficast-Folgen wird sich mit ihm auseinandersetzen.

Anmerkung: Diese Botschaft wurde bei einem Treffen der ’neuen‘ lateinamerikanischen Dichterinnen und Dichter vorgelesen, das im Februar 1964 in Mexico City stattfand und an dem auch einige aus Nordamerika teilnahmen. Es handelte sich hierbei nicht um einen sorgfältig geplanten und großzügig finanzierten internationalen Kongress, sondern um ein spontanes, aus der Begeisterung geborenes Treffen junger Dichterinnen und Dichter des globalen Südens, von denen sich die meisten die Teilnahme kaum leisten konnten. Eine peruanische Dichterin zum Beispiel hatte ihr Klavier verkauft, um die Reise zu finanzieren.

Wir, die wir dichten, wissen, dass der Grund für ein Gedicht erst dann entdeckt werden kann, wenn das Gedicht fertig ist. Der Grund für eine vom Leben inspirierte Tat erweist sich in der Tat selbst. Dieses Treffen ist eine spontane Explosion der Hoffnungen. Deshalb ist es ein Wagnis, das wir in prophetischer Armut eingehen, wird es doch von keiner Institution gefördert oder finanziert, von keinem Veranstalter geplant oder öffentlich bekannt gemacht, sondern es ist ein lebendiger Ausdruck des Glaubens daran, dass es nun neue Menschen, neue Dichterinnen und Dichter auf der Welt gibt, die keinem etablierten politischen System oder einer kulturellen Einrichtung verpflichtet sind – sei sie nun kommunistisch oder kapitalistisch – und die es wagen, ihrer eigenen Vision von Wirklichkeit und Zukunft zu folgen. Diese Versammlung ist vereint durch eine Flamme der Hoffnung, deren Hitze noch nicht gemessen, deren Wirkung noch von niemandem erfasst worden ist, weil dieses Feuer ganz und gar neu ist. Sein Grund kann von niemandem erkannt werden, der sich nicht an ihm wärmt. Der Grund, warum wir hier sind, wird erst dann sichtbar werden, wenn wir uns alle gemeinsam auf den Weg gemacht haben, ohne zu zögern, hinein in alle Widersprüche und Möglichkeiten.

Wir glauben, dass unsere Zukunft aus Glaube und Liebe gemacht wird, und nicht durch Gewalt oder Berechnung entsteht. Der Geist des Lebens hat uns hier zusammengeführt, an diesen Ort oder zumindest in gemeinsamer Übereinkunft, und er wird unsere Begegnung zu einer Offenbarung lauter Gewissheiten werden lassen, die wir jeder für uns alleine niemals erfahren könnten.

Der Zusammenhalt der Dichterinnen und Dichter wird nicht durch taktische Manöver oder politische Winkelzüge herbeigeführt, denn dafür wären Vorurteile, List und strategisches Handeln notwendig. Und bei allem, was man einem Dichter vielleicht vorwerfen mag, man kann ihm nicht nachsagen, dass er durchtrieben wäre. Seine Kunst beruht auf einer tiefverwurzelten Unschuld, die er verlieren würde, wenn er sich dem Geschäftlichen, der Politik oder einem streng reglementierten akademischen Leben widmete. Die Hoffnung, die sich auf kalte Berechnung verlässt, hat ihre Unschuld verloren. Wir dagegen rotten uns hier zusammen, um die unsrige zu verteidigen.

Jegliche Unschuld ist eine Sache des Glaubens. Ich spreche jetzt nicht von einer gemeinsam vereinbarten Übereinkunft, sondern ich rede von inneren Überzeugungen ‚aus ein und demselben Geist‘. Diese Überzeugungen sind so stark und unwiderstehlich wie das Leben selbst. Sie wurzeln in der Treue zum Leben, nicht zu künstlichen Systemen. Der Zusammenhalt der Dichterinnen und Dichter untereinander ist eine so elementare Tatsache wie das Sonnenlicht, der Wechsel der Jahreszeiten oder der Regen. So etwas kann man nicht planen, es kann nur geschehen. Es kann nur ‚empfangen‘ werden. Es ist ein Geschenk, für das wir offen sein und bleiben müssen. Niemand kann durch Konzepte den Sonnenaufgang herbeiführen oder Regen dazu veranlassen, dass er fällt. Das Wasser der Meere bleibt nass, trotz aller Programme und formaler Anstrengungen. Zusammenhalt ist nicht gleich Kollektivität. Die Planer eines kollektiven Lebens werden sich über die Ernsthaftigkeit, ja über die Tatsache unserer Hoffnung lustig machen. Sollte es ihnen gelingen, dass sie uns mit ihrem Zweifel anstecken, werden wir unsere Unschuld verlieren und mit ihr unseren festen Zusammenhalt.

Kollektives Leben wird häufig auf der Grundlage von List, Zweifel und Schuld erreicht. Echter Zusammenhalt wird zerstört durch die politische Kunst des Gegeneinanderausspielens und durch die kommerzielle Kunst, den ökonomischen Wert eines Menschen zu bestimmen. Diese illusorischen Maßstäbe hat der Mensch zur Grundlage genommen, um darauf eine Welt willkürlicher Werte zu errichten, ohne Leben oder Bedeutung, aber voller fruchtloser Betriebsamkeit. Wer einen Menschen gegen einen anderen ausspielt, ein Leben gegen das andere, das Werk eines Menschen gegen das eines anderen und dann meint, dessen Wert hinsichtlich seiner Kosten oder seiner wirtschaftlichen Bedeutung oder seines moralischen Verdienstes bestimmen zu können, der steckt alle anderen mit dem tiefsten metaphysischen Zweifel an. Getrennt voneinander und aufgehetzt gegeneinander im Wettkampf um den größten Wert, lassen sich die Menschen ohne weiteres zu Objekten machen, die auf dem Sklavenmarkt verhökert werden. Sie verzweifeln an sich selbst, weil sie erkennen, dass sie dem Leben und dem Dasein selbst untreu geworden sind, und sie finden niemanden mehr, der ihnen ihre Treulosigkeit vergeben würde.

Doch ihre Verzweiflung verdammt sie nur zu weiterer Untreue: Ihrer geistlichen Herkunft entfremdet, machen sie sich daran, den Geist ihrer Mitmenschen zu brechen, zu demütigen und zu zerstören. In diesem Zustand findet sich keinerlei Freude, nur Wut. Jeder Mensch spürt, dass sein grundlegendstes Wesen durch Misstrauen, Unglaube und Hass vergiftet wird. Jeder erlebt sein Dasein als eine Abfolge von Schuld und Verrat, und selbst der Tod bietet keinen Ausweg.

Wir verbünden uns und prangern dieses abgekartete Spiel als das an, was es ist: als schändlich, als Hochstapelei.

Wenn wir gegen diese Verirrungen vereint bleiben wollen, gegen die Mächte, die die Menschheit vergiften und sie zu Untertanen einer Welt machen, in der Bürokratie, Kommerz und Polizeistaat unantastbar erscheinen, dann dürfen wir uns nicht kaufen lassen. Wir müssen uns ihrer akademischen Beurteilungen verweigern. Wir müssen der Verführung durch öffentliche Aufmerksamkeit widerstehen. Wir dürfen es nicht zulassen, dass man uns in mystischen Vergleichen gegeneinander ins Feld führt, ob das nun durch die politischen, literarischen oder kulturellen Hüter der ‚reinen Lehre‘ geschieht. Wir dürfen uns nicht dazu verleiten lassen, dass wir uns zum Vergnügen ihrer Medien gegenseitig verschlingen und verstümmeln. Wir dürfen uns nicht von ihnen auffressen lassen, damit sie an uns ihre unersättlichen Zweifel stillen. Wir dürfen nicht einfach nur für etwas und gegen etwas anderes sein, selbst wenn wir für „uns“ und gegen „sie“ sind. Wer sind „sie“ schon? Wir sollten sie nicht dadurch bestärken, dass wir ihre „Gegner“ werden, was ja nahelegen würde, dass sie tatsächlich existieren.

Wir sollten zu „ihren“ Wertmaßstäben auf Abstand gehen. In dieser Hinsicht sind wir alle Mönche: wir bleiben unschuldig und unsichtbar für Kulturindustrie und Funktionäre. Sie haben keine Ahnung von dem, was wir treiben, solange wir uns nicht an sie verraten, und selbst dann würden sie es niemals begreifen.

Verstehen können sie nur das, was sie selbst verordnet haben. Sie sind geschickt darin, in schönen Worten das Leben zu umschreiben, und dann dafür zu sorgen, dass das Leben sich dem anpasst, was sie selbst verkündet haben. Wie sollten sie irgendjemandem vertrauen können, wenn sie sogar das Leben zum Lügner machen? Es ist der Geschäftsmann, der Werbestratege, der Politiker, der ergeben an die „Magie der Sprache“ glaubt – nicht der Dichter.

Dichterinnen und Dichter leben in dem Bewusstsein, dass keinerlei Magie existiert. Nur das Leben gibt es mit all seiner Unvorhersehbarkeit und Freiheit. Was als ‚Magie‘ bezeichnet wird, ist ein rücksichtsloser Manipulationsversuch, ein Teufelskreis, eine sich selbst erfüllende Prophezeiung.

Sprachmagie ist eine Entweihung der Sprache und des Geistes, in der Worte, die absichtlich unverständlich sind, sinnlos auf den verletzlichen Willen einwirken. Lasst uns diese Magie verspotten und sie mit eigenen Unverständlichkeiten nachahmen, wenn wir Lust darauf haben. Noch besser aber ist es zu prophezeien statt zu spotten. Eine Prophetie auszusprechen bedeutet nicht, dass man etwas vorhersagen würde. Man packt vielmehr die Wirklichkeit in einem Moment, in dem sie sich mit äußerst gespannter Erwartung dem Neuen zuwendet. Diese Spannung erkennen wir nicht in hypnotischer Begeisterung, sondern im Licht des alltäglichen Lebens. Dichtung ist frei von jeglicher Vorhersage, weil sie selbst die Erfüllung all jener wirklich bedeutsamen Vorhersagen ist, die sich im Alltag verbergen.

Dichtung ist das Erblühen alltäglicher Umstände. Sie ist die Frucht ganz normaler und natürlicher Entscheidungen. Darin liegt ihre Unschuld und ihre Würde.

Lasst uns nicht wie diejenigen sein, die sich wünschen, der Baum würde zuerst seine Frucht tragen und erst anschließend seine Blüte – ein Taschenspielertrick und Werbeversprechen. Uns genügt es, wenn zuerst die Blüte erscheint und erst nach ihr die Frucht, jedes nach seiner Zeit. Solcher Art ist der Geist der Dichtung.

Lasst uns dem Leben gehorchen und dem Geist allen Lebens, der uns in das Dichterdasein hineinberufen hat, denn dann werden wir viele neue Früchte ernten, nach denen die Welt hungert – Früchte der Hoffnung, die man noch nie zuvor gesehen hat. Mit diesen Früchten werden wir die Bitterkeit und Wut des Menschen stillen.

Lasst uns stolz darauf sein, dass wir keine Schamanen sind, sondern ganz normale Menschen.

Lasst uns stolz darauf sein, dass wir keine Fachleute auf irgendwelchen Gebieten sind.

Lasst uns stolz sein auf die Worte, die uns geschenkt werden, nicht, um jemanden zu belehren, zu widerlegen oder zu beweisen, wie sehr irgendjemand danebenliegt, sondern um über alle Dinge hinauszuweisen in die Stille, in der überhaupt nichts gesagt werden kann.

Wir sind keine Überredungskünstler. Wir sind die Kinder des Unbekannten. Wir sind die Abgesandten der Stille, die nötig ist, um die Opfer des Unsinns zu heilen, die von zu viel aufgesetzter ‚Freude‘ sterbenskrank geworden sind. Lasst uns also zur Kenntnis nehmen, wer wir in Wirklichkeit sind: Derwische, besessen von einer geheimen heilenden Liebe, die man weder kaufen noch verkaufen kann und die unter Politikern gefürchteter ist als jede gewaltsame Revolution, weil Gewalt überhaupt nichts ändert. Liebe aber verändert alles.

Wir sind stärker als die Atombombe.

Lasst uns also „ja“ sagen zu unserer edlen Abstammung, indem wir die Unsicherheit und die Verachtung umarmen, die zu einem Dasein als Derwisch dazugehören.

Schon in der Republik des Plato gab es für Dichter und Musiker keine Verwendung, für Derwische und Mönche schon gar nicht. Die hochtechnisierten Platos dagegen, die sich für die Beherrscher unserer heutigen Welt halten, wollen uns mit Banalitäten und hochtrabenden Idealen ködern. Aber wir können ihnen ganz leicht ausweichen, indem wir in den heraklitischen Fluss steigen, den man niemals zwei Mal durchqueren kann.

Wenn der Dichter seinen Fuß in den stetig fließenden Fluss setzt, dann wird aus dem gleißenden Wasser nichts anderes als Dichtung geboren. In diesem einzigartigen Augenblick wird die Wahrheit ersichtlich für alle, die in der Lage sind, sie zu empfangen.

Niemand kann sich dem Fluss nähern, sofern sie oder er nicht die eigenen Füße benutzt. Man kann nicht herbeigefahren oder -getragen werden.

Niemand kann in den Fluss steigen, solange sie oder er noch die Gewänder der bekannten und allgemein vertretenen Weltanschauung trägt. Man muss das Wasser auf der eigenen Haut spüren. Man muss wissen, dass das Unmittelbare nur dem entblößten Geist und den Unschuldigen zugänglich ist.

Kommt, Derwische: Hier ist das Wasser des Lebens. Tanzt darin.

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Huchting in Bildern

Letzte Woche bin ich in Huchting gewesen mit dem festen Vorsatz, den Stadtteil zu fotografieren. Ich habe gewusst, dass das nicht leicht werden würde. Ich hatte es schon mal versucht und nicht hinbekommen.

Damals, im April des letzten Jahres, ging es darum, ein Motiv zu finden, das möglicherweise für das Cover des Buches ‚Huchting – Geschichten von der Straße‘ benutzt werden konnte. Drei Tage lang streifte ich kreuz und quer durch den Stadtteil, immer auf der Suche nach dem einen Motiv, das in der Lage wäre, Huchting zu repräsentieren. Mir wurde schnell klar, dass es dieses Motiv nicht gab. Huchting ist viel zu unterschiedlich, viel zu gegensätzlich, als dass ein einzelnes Bild die verschiedenen Lebenswirklichkeiten widergeben könnte.

Um mich an die verschiedenen Ecken erinnern zu können, machte ich viele Fotos mit dem iPhone. Schließlich ging es auch darum, mir die Straßenzüge einzuprägen, weil ich im Sommer die letzten Geschichten des Bandes schreiben und die bestehenden überarbeiten wollte. Die Bilder, die dabei entstanden, waren sachlich, irgendwie funktional. Aber sie atmeten natürlich nicht die Atmosphäre, die ich mit Huchting verbinde.

Jetzt, im Januar, ging es wieder nach Huchting. Diesmal mit dem festen Ziel, nicht ein Bild, sondern mehrere Bilder zu machen, die für Huchting stehen können. Mein Verlag Adeo veröffentlicht ein kostenloses, aber trotzdem hochwertiges Magazin, das die Neuerscheinungen vorstellt. In der nächsten Ausgabe erscheint auch ein Artikel von mir über das Buch und den Stadtteil. Und dafür werden Bilder benötigt.

Ich habe mir mehrere Wochen den Kopf darüber zerbrochen, welches bildästhetische Konzept ich verfolgen würde, um Bilder zu erhalten, die beides zeigen: sowohl die prosaische Realität als auch die – ich schreib es jetzt mal: proletarische Poesie, die beide Huchting ausmachen. Sie sollten nicht zu prosaisch und sachlich sein, weil sie dann nicht das Besondere an Huchting zeigen würden. Und sie durften nicht ’schön‘ werden, weil das der Wirklichkeit nicht gerecht werden würde.

Erst einige Tage, bevor es losgehen sollte, fasste ich meinen Entschluss. Ich würde es riskant spielen. Ich würde eine analoge Plastikkamera benutzen: kein Glasobjektiv; kein Autofokus; kein Bildstabilisator; kein eingebauter Blichtungsmesser; nur drei mögliche Blendeneinstellungen, von denen an dunklen Wintertagen ohnehin nur eine in Frage kommen würde; nur zwei Verschlusszeiten: Bulb (also so lange, wie man den Auslöser drückt) und 1/60 Sekunde; und natürlich Film, also ohne die Möglichkeit zu überprüfen, ob das Bild etwas geworden ist, um es dann noch eimal zu versuchen.

Meine Frau überredete mich, als Back Up noch eine Digitalkamera mitzunehmen. Ich gab ihr Recht und kaufte deshalb für meine billige Canon eos 1200D einen Adapter, damit ich die Plastikobjektive auch mit dieser Kamera nutzen konnte. Das und mein Stativ gaben mir genügend Sicherheit, eines Morgens auf die Suche nach guten Motiven zu machen.

Das Wetter war noch schlechter als befürchtet. Den ganzen Tag über bedeckten dichte Wolken den Himmel. Es war so dunkel, dass die Filme, die ich mitgenommen hatte, nicht lichtempfindlich genug waren, um einfach nur den Auslöser betätigen zu können. Ich konnte die nötige Belichtungszeit zwar messen, aber nicht an der Kamera einstellen. Deshalb musste ich schätzen. Ich befestige die kleine Diana Plus auf dem Stativ, richtete sie aus und hielt den Auslöser so lange gedrückt, wie ich glaubte, dass es nötig wäre.

Zum Glück bin ich ein Hybridfotograf. Das bedeutet, dass ich sowohl analoge als auch digitale Technik benutze. Nachdem ich die Filme zu Hause entwickelt und zum Trocknen aufgehängt habe, scanne ich sie und bearbeite sie anschließend am Computer. Auf diese Weise konnte ich falsche Belichtungszeiten korrigieren. Und sie gefallen mir. Sie sind körnig, dreckig und schön. Ich bin der Meinung, dass sie das Huchting zeigen, dass ich kenne und liebe.

Weil die Verhältnisse so schwierig waren, habe ich auch sehr viel mit der digitalen Kamera gearbeitet. Aber diese Bilder gefallen mir bei weitem nicht so gut wie die Bilder auf Film. Das liegt vor allem daran, dass der Bildsensor um ein Vielfaches kleiner ist, als die Fläche des Filmes, den die Diana belichtet (sie benötigt 120 Film, fotografiert also im Mittelformat). Die Bilder der Canon sind deshalb viel matschiger als die der Diana. Der eine oder andere schöne Schnappschuss ist dennoch dabei.

Ich bin gespannt, welche Bilder der Verlag für sein Magazin auswählt. Wir haben im Vorhinein besprochen, dass die Bilder wie Polaroids oder Instant-Bilder präsentiert werden könnten. Wenn es soweit ist, wird dieses Projekt ersteinmal abgeschlossen sein. Aber wer weiß? Vielleicht komme ich zum Fotografieren nach Huchting zurück. Ich glaube, ich habe Blut geleckt.

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Donnerstag, 14. November 2019

Wann ist man erfolgreich? Wann als Mensch? Wann als Künstler? Eigentlich ist es doch so, dass Erfolg durch die Frage definiert ist, welches Ziel ich mir setze. Wenn ich mein Ziel erreiche, bin ich erfolgreich. Wenn nicht, nicht.

Es kann natürlich sein, dass ich das Erreichen meines Zieles nicht als Erfolg empfinde. Aber ist die Tatsache, ob ich mich erfolgreich fühle oder nicht, ausschlaggebend dafür, ob ich erfolgreich bin oder nicht?

Die Frage ist, ob es so etwas wie ein objektives und ein subjektives Erfolgreichsein gibt. Kann ich einen Erfolg erringen, ohne mir dessen bewusst zu sein? Und wer würde in diesem Fall entscheiden, ob ich erfolgreich gewesen bin oder nicht? Ist es vielleicht sogar denkbar, dass ich mein erklärtes Ziel nicht erreiche und dennoch auf eine gewisse Art erfolgreich bin, vielleicht gerade sogar deshalb erfolgreich bin? Wie würde so etwas aussehen?

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Donnerstag, 7. November 2019

Mein lektoriertes Manuskript von ‚Huchting‘ ist da. Ich hab schon reingeschaut. Die Lektorin hat super Arbeit geleistet. Irgendwann bist du als Autor so tief in den Text versunken, dass du offensichtliche Fehler nicht mehr bemerkst. Da ist eine kompetente Person, mit der du zusammen arbeiten kannst, einfach Gold wert.

Die Überschriften stehen schon fest, heute und morgen gehe ich die Anmerkungen im Manuskript durch, und dann müsste es geschafft sein. Dann ist ‚Huchting‘ fertig.

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Mittwoch, 6. November 2019

Ich genieße gerade Storytelling auf zwei völlig verschiedene Weisen. Einerseits schaue ich die Marvel Serien in chronologischer Reihenfolge. Sie sind unterschiedlich gut. Die meiner Meinung nach bisher beste von allen ist die erste Staffel des Punisher. Ich finde, die Serien sind immer dann sehr gut, wenn das fantastische Element auf den Alltag trifft. Wenn sie dann zu sehr ins Fantastische abdriften, verlieren sie meiner Meinung nach deutlich an Qualität. Die Geschichte des Punisher verzichtet auf das Fantastische, zumindest weitesgehend. Vielleicht mag ich sie deshalb so.

Im Vergleich zu dem Buch, das ich gerade lese, ist das natürlich alles eine geradezu kindliche Art des Erzählens. Obwohl The Slave von Singer in einer unglaublich schlichten, manchmal fast schon kindlichen Sprache erzählt wird. Es ist die Geschichte des Juden Jakob im Polen des 17. Jahrhunderts, der verbotenerweise die Nichtjüdin Wanda liebt, schließlich mit ihr ein Paar bildet und fliehen muss. Auch in dieser Geschichte spielen historische Ereignisse, Massaker an Juden, Ausbeutung, Ungerechtigkeit und natürlich Liebe eine große Bedeutung. Aber all die umwälzenden Themen werden mit den ganz kleinen Dingen des Alltags kontrastiert, und diese Dinge beschreibt Singer viel umfassender, liebevoller, aufwändiger als die anderen. Auf diese Weise lässt er mitten im Schrecklichen eine unglaubliche Schönheit aufscheinen, die das Buch so lesenswert macht. Übrigens spielt auch bei ihm das Fantastische eine Rolle, das aber lässt er nur kurz anklingen, es spielt sich unerkannt und unverstanden im Hintergrund ab und hat mit den Dingen der Alltagswelt letztlich nur mittelbar zu tun.

Ich brauche irgendwie beides: das etwas grobschlächtige Erzählen der Marvel Serien und die feingliedrige, nuancierte Erzählweise des Buches. Immer wenn ich genug habe von dem einen, gehe ich über zum anderen.

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