Irgendwann war es so weit. Wir trafen uns alle im Studio. Jemandem, der noch nie miterlebt hat, wie ein Musikalbum entsteht, kommt das alles vielleicht mystisch vor. Ich weiß noch, wie ich als Jugendlicher unter meinen Kopfhörern verschwand, vollkommen in die Musik abtauchte und mir vorzustellen versuchte, was die Musiker, die ich wie Helden verehrte, wohl getan hatten, als sie diese Klänge hervorbrachten, wie sie dabei ausgesehen und wie sie sich gefühlt hatten.
Selbst wenn man sich Musik-Dokumentationen anschaut wie zum Beispiel ›Sound City‹, die Geschichte des berühmten Tonstudios in Los Angeles, in dem unter anderem Neil Young, Tom Petty oder auch Nirvana ihre Alben aufnahmen, bekommt man zwar einen konkreteren Eindruck davon, wie die Arbeit im Studio abläuft. Aber irgendwie mystisch bleibt es dennoch. Und der Eindruck verschwindet auch nicht sofort, wenn man die Studioräume betritt.
In meinem Roman ›TimTom Guerilla‹ habe ich versucht, diesen Moment festzuhalten. Vorbild für das Studio, in das die Musiker in der Erzählung hereinkommen, ist das ›KlangCorpus‹, in dem wir auch ›Ohne mich geht’s nicht‹ aufgenommen haben:
Schon mit dem ersten Schritt in den Raum hinein verändert sich die Akustik. Die Straße verstummt. Fast fühlt es sich an, als würde jemand eine Decke über meinen Kopf legen, bis mir auffällt, dass ich die Geräusche, die die anderen machen, wenn sie einen Schritt gehen, mit den Sohlen scharren oder sich räuspern, viel deutlicher wahrnehme als vorher. Sie stechen geradezu heraus aus der unglaublichen Stille, die uns mit einem Mal umgibt. Endlich spüre ich Vorfreude. Die trüben Gedanken sind wie weggeblasen. Aufgeregt und ehrfürchtig sehe ich mich um.
Mitten im Raum ist eine Art Arbeitsinsel aufgebaut, die von einer riesigen Konsole mit Hunderten von Reglern, Knöpfen und Schiebern dominiert wird. Links davon befindet sich ein Pult, auf dem ein Computer von Apple steht, zu dem wiederum eine merkwürdige mehrfarbige Tastatur gehört. Drumherum sind weitere elektronische Geräte turmartig aufgebaut, deren Dioden leuchten und blinken. Und gleich links an der Wand stehen zwei schwere Bandmaschinen. Außerdem gibt es eine Vielzahl an Instrumenten: ein Klavier, diverse Keyboards, Gitarren, Percussion-Instrumente und so weiter. Der Raum hat eine angenehme, warme Atmosphäre. Fast die gesamte Fläche der Wände und der Decke ist mit hellem Stoff verkleidet. Ein großer Teppich liegt auf dem Holzfußboden. Auf der gegenüberliegenden Seite lassen doppelverglaste kleine Fenster schummriges Tageslicht herein. Und an der Kopfseite, da, wohin man vom Arbeitsplatz aus blickt, ist eine große Fensterscheibe, durch die man in einen weiteren, etwas kleineren Raum sehen kann. Als ich näher trete und hindurchschaue, erkenne ich ein großes Schlagzeug, das dort aufgebaut steht und von Mikrophonen umgeben ist.
Wir vier sagen nichts, während wir langsam herumgehen, alles genau betrachten und darauf achten, nichts zu berühren. Als ich zu Paulo blicke, sehe ich, dass er noch immer am Eingang steht und uns lächelnd beobachtet, wie ein wohlwollender Vater, der am Heiligen Abend seine Kinder endlich zur Bescherung ins Wohnzimmer gelassen hat.
Das KlangCorpus in Delmenhorst gehört Philip Müller. Als Manu und ich darüber nachdachten, wo wir das Album aufnehmen würden, habe ich mich dafür stark gemacht, es dort zu machen. Phil und ich haben hier hin und wieder an gemeinsamen Projekten gearbeitet, und ich liebe die Wärme und Ruhe, die diese Räume ausstrahlen. Für mich ist das ein Ort, an dem man die Welt draußen lassen und sich ganz auf die künstlerische Arbeit konzentrieren kann. Außerdem schätze ich Philips Verständnis von Sound. Ich weiß nicht genau, wie er es macht, aber er entwickelt in den Vorgesprächen eine glasklare Vorstellung davon, wie die Instrumente in seinen Räumen klingen sollen und wie er diesen Klang erreicht. Genau diese Fähigkeit wollte ich haben.
Und so fanden wir fünf von Rhadio uns im Januar 2018 in Delmenhorst ein. Die entscheidende Etappe lag vor uns.
(Fortsetzung folgt)