Meine Feunde Jonathan und Michael aus Berlin entwickeln gerade eine neue Plattform, die sich mit Kunst beschäftigt. Sie nennen sie VETA, ein Begriff aus dem Schwedischen, der übersetzt ’neugierig sein‘ heißt.
VETA wird, wenn ich das richtig verstanden habe, eine Art Magazin werden, auf dem verschiedene Formate zu finden sein werden. Kürzlich gestartet ist der VETA-Podcast, in dem die beiden sich mit Kunstschaffenden aus allen Sparten unterhalten. Auch ich bin bereits ihr Gesprächspartner gewesen. Diese Folge wird bald online gehen.
In einem fast zweistündigen Gespräch haben Jonathan und Michael mich ausgefragt zu Themen, über die ich schon länger nachdenke.
Ich habe meine Antworten verschriftlicht, weil sie vieles zusammenfassen, was mir wichtig ist, und stelle sie euch hier zur Verfügung. Wer mir lieber zuhören möchte, kann ja auf die Folge warten. Sowieso lohnt es sich, VETA im Blick zu behalten, da scheint gerade etwas sehr Schönes zu entstehen.
Und nun zu meinem Antworten auf Jonathans und Michaels Fragen:
0. Ich seh mich selbst zunächst als Schriftsteller, das ist meine Hauptprofession, würde ich sagen, ich schreibe Geschichten, ich schreibe Romane und habe weitere im Kopf, die ich alle noch schreiben möchte: Das ist das, was ich machen möchte, bis ich gar nicht mehr kann, bis ich tot bin. Ich habe zwischendurch auch Musik gemacht, ich habe Musikalben produziert, aber da ist keine Karriere draus geworden. Manchmal arbeite ich mit Bildern, ich fotografiere analog, es hat eine Phase gegeben, in der ich gemalt habe. Und das ganze subsummiere ich unter dem Motto ‚Kunst ist die Beschäftigung mit der Welt anhand ästhetischer Mittel‘. Ich versuche einfach, anhand ästhetischer Mittel meine Welt kennenzulernen, mich besser kennenzulernen, herauszufinden, was es mit dem Leben auf sich hat, und wenn mir was in die Quere kommt, wo ich Lust drauf habe, was ich gerne ausprobieren möchte, dann mach ich das.
01. Ich bin ein gläubiger Mensch. Diese Art von Gläubigkeit hat im Lauf der Jahrzehnte ihre Wandlungen vollzogen, aber es stimmt: Meine Frömmigkeit hat einen mystischen Zug. Ich bin empfänglich für Erlebnisse im Rahmen meines Glaubens, auch für solche, die sich mir nicht unbedingt sofort rational erschließen. Und was deutlich hinzugekommen ist in den letzten Jahren zu dieser mystischen Sicht auf die Welt, ist das Verständnis, dass alles eins ist, dass alles eine Quelle hat und dass alles irgendwie zusammengehört. Ich versuche zum Beispiel gerade herauszufinden, inwiefern Tiere meine Gegenüber sind. Ich docke da an bei franziskanischer Frömmigkeit, in der andere Lebewesen, andere Geschöpfe als Brüder und Schwestern bezeichnet werden. Das fand ich früher eher niedlich, ein süßes Bild, wenn man sein Haustier als Bruder bezeichnet, aber ich glaube, da steckt eine ganz tiefe Ernsthaftigkeit dahinter: Dieses Bewusstsein, dass man zusammengehört. Diese Sicht auf die Welt ist für mich in den letzten Jahren immer wichtiger geworden, dieses Die-Welt-Wahrnehmen, nicht in Wolkenkuckucksheim leben oder in frommen Theorien rumspinnen, sondern die Welt wahrnehmen, die Natur, die Menschen, die Dinge, die eben da sind und darin eine spirituelle Qualität zu sehen, das ist für mich persönlich wichtiger geworden, und das ist tatsächlich auch ein Antrieb für meine Arbeit. Ich sehe auch mein künstlerisches Arbeiten als einen Ausdruck meiner Spiritualität. Das ist nicht unbedingt inhaltlich immer nachvollziehbar, dass ich mir also nur über Gott oder das All, das Universum Gedanken mache, sondern die Beschäftigung mit der Welt ist das eigentlich Spirituelle. Und das ist verbunden mit meiner Neugierde: Ich will wissen, was hinter der nächsten Kurve auf mich wartet.
02. Ich würde nicht sagen: Jeder Künstler sollte spirituell sein. Ich würde als spirituell interessierter Mensch sagen: Wer immer sich künstlerisch betätigt, hat auch Zugang zu einer ganz persönlichen Spiritualität. Das würde ein/e nichtglaubende/r Künstler/in natürlich ablehnen. Das ist für mich auch in Ordnung. Ich will nicht die Kunst spiritualisieren. Ich finde nur, dass Kunst und Religion schon sehr viele Gemeinsamkeiten haben. Sie sind natürlich nicht dasselbe, aber sie ähneln sich häufig. Sicher auch aufgrund meiner Biografie sage ich: Für mich liegt beides sehr nah beieinander.
03. Mein Eindruck ist, dass wir in der Regel versuchen, so glatt wie möglich zu leben, so reibungslos, so gradlinig wie möglich, ohne dabei viel Zeit zu verlieren. In unserer Kultur scheint das so eine Art unausgesprochenes Lebensmotto zu sein. Es würde uns guttun, wenn wir nicht ständig versuchen würden, die Kurven zu vermeiden. Ich bin überzeugt, dass das Leben genug Kurven zeichnet: Es kommen dir immer wieder irgendwelche Dinge in die Quere, das lässt sich nicht verhindern. Und ich glaube auch nicht, dass das notwendig ist. Man sollte die Kurven mitnehmen, wenn sie kommen. Ich sehe darin auch viel Positives. Es kostet vielleicht Lebenszeit, der Progress ist vielleicht nicht so schnell, so gradlinig, wie man sich das vorgestellt hätte, aber in diesen Kurven lernt man sehr viel, und gerade als Künstler/in ist das unschätzbar. Du kannst nur über das glaubhaft arbeiten, was du auch zu einem gewissen Grad selbst erlebt hast.
04. Ich habe Probleme mit dem Wort ‚progressiv‘ als Selbstbezeichnung, weil ich finde, dass das ein wertender Begriff ist. Wer sich als progressiv bezeichnet, meint damit wahrscheinlich, dass sie/er fortschrittlich ist. Da schwingt natürlich mit, dass man fortschrittlicher ist als jemand anderes, der noch stehengeblieben ist, der diesen Fortschritt eben nicht mitgegangen ist. Ich persönlich mag die Bezeichnung deshalb nicht für mich selber, weil ich mich nicht als schlauer empfinde als irgendjemanden anderes, auch nicht schlauer als konservativere Menschen. Wir irren an unterschiedlichen Punkten.
Ich denke, dass künstlerisch arbeitende Leute immer wieder danach suchen, wie sie gesteckte Grenzen weiten können, überschreiten können, Barrieren überwinden können. Wir suchen nach neuen Ausdrucksformen, neuen Sichtweisen, und das bedeutet für mich, dass ich alte Pfade verlasse und mich auf neue begebe, um zu schauen, was es noch zu entdecken gibt. Das ist mein künstlerisches Verständnis. Es lässt sich insofern beobachten, dass die allermeisten Künstler/innen eher progressiv-liberal eingestellt sind. Aber es gibt natürlich auch die anderen, die total reaktionär sind, gerade auch in ihrer künstlerischen Ausdrucksform.
05. Es gibt ein Thema, das bei mir immer wieder auftaucht, und das ist, dass das Große und Schöne im Schlichten und Banalen zu entdecken ist. Das ist das Thema, das mich besonders umtreibt. Das ist mir quasi auf meinem Lebensweg passiert. Ich habe an mir selbst entdeckt, dass ich, so wie wahrscheinlich die allermeisten Leute es tun, versucht habe, das Banale zu vermeiden – der langweilige Alltag, das Stereotype, das ständige Wiederkehren der normalen Dinge – und stattdessen immer nach den Hochs gesucht habe, nach den ganz ‚wichtigen‘ Momenten. Irgendwann ist mir aufgefallen, dass 99 Prozent meines Lebens aus Banalitäten bestehen. Ich habe mich deshalb entschieden, das Banale zu würdigen und mich im Schlichten, Einfachen auf die Suche zu machen nach dem Schönen. Das hat zu einer eher holistischen, mystischen Weltsicht geführt. Denn mit dieser Sicht auf die Welt sieht man kleine Dinge, in denen plötzlich eine gewisse Schönheit und Bedeutung aufleuchtet, und ahnt: Die Welt ist tiefer, weiter und größer, als es oft den Anschein hat. Man muss dafür nicht unbedingt nach Dubai reisen, man kann das auch in dem Dorf oder dem Stadtteil erleben, in dem man gerade lebt, wo die Welt so schlicht und langweilig zu sein scheint. Gerade hier lässt es sich entdecken. Diese Erkenntnis zieht sich durch die Songtexte, die ich schreibe, durch die Geschichten, durch die Bilder, die ich mache.
06. Huchting ist ein nicht besonders gut angesehener Stadtteil von Bremen. Es leben dort einige wenige reiche Leute, es gibt aber mehrheitlich ärmere Leute oder Leute in bescheidenen Verhältnissen, es gibt ganz viele Leute, die einen Migrationshintergrund haben und viele soziale Probleme. Ich habe darüber ein Buch geschrieben, denn ich bin dort aufgewachsen und habe irgendwann gemerkt, dass der Stadtteil ein wichtiger Teil meiner Biografie ist. Über lange Jahre habe ich das so nicht wahrhaben wollen, weil Huchting eben nur Huchting ist, bis ich gemerkt habe, welche Spuren dieser Ort und auch die Leute, die dort leben, bei mir hinterlassen haben: wie ich denke, fühle, was ich schön finde oder eben nicht. Deshalb habe ich mich entschieden, das ganze offensiv anzugehen und darüber ein Buch zu schreiben. Es heißt ‚Huchting‘, ist im Frühjahr 20 herausgekommen und verkauft sich bisher nicht gut. Womöglich, weil die meisten Leute sagen: ‚Huchting? Who gives a shit?‘ Ich finde aber eben schon, dass dieser Ort eine besondere Kraft hat. Ich habe mich daran erinnert, dass das der Ort ist, an dem ich die Abenteuer meiner Kindheit erlebt habe: all die magischen Erlebnisse, die Kämpfe auf Leben und Tod, die nächtelangen Ritte durch die Prärie, die Duelle auf irgendwelchen Klippen. Meine kindlich-magische Welt hatte ihre Heimat in Huchting. Deshalb fand ich es gut, über diesen eher verpönten Ort Geschichten zu schreiben, denn wann immer du ein Thema aufnimmst und es künstlerisch bearbeitest, machst du es größer. Du gibst dem Gewicht, eine Bedeutung.
07. Das ist eine ständige, spannungsreiche Beziehung: die Alltagspflichten und mein Bedürfnis, künstlerisch zu arbeiten. Der Alltag steckt einen strengen Rahmen, an den ich mich halten muss und der es mir immer wieder auch unmöglich macht zu arbeiten. Das ist einerseits ein Konflikt, weil die kreative Arbeit dadurch verhindert wird, andererseits ist der feste Rahmen auch eine Inspiration, ein Ansporn. Ich weiß zum Beispiel: Morgen um diese Zeit sind die anderen Familienmitglieder aus dem Haus, dann habe ich einen Zeitraum von einigen Stunden, in denen ich etwas machen kann. Diese Zeit nehme ich mir und genieße sie. Wenn ich über längere Zeit nicht auf diese Weise zum Arbeiten komme, werde ich unausgeglichen.
08. Anfangs habe ich den Alltag vor allem als Hindernis für die Arbeit gesehen und war darüber unglücklich. Wenn ich kreative Prozesse abbrechen musste oder gar nicht erst zu ihnen kam, gerade auch bei Projekten, die über längere Zeit gehen, konnte ich sehr übellaunig sein. Es hat lange gebraucht, bis ich gemerkt habe, dass der Alltag mit seinen Zufällen nicht nur ein Hindernis ist, sondern auch eine Inspirationsquelle. Die unauflösbare Spannung ist wahnsinnig fruchtbar, und zwar dann, wenn ich aufhöre mich dagegen zu wehren und die Dinge nehme, wie sie sind. Am Ende zahlt es sich aus. Es gelingt mir nicht immer. Aber die grundsätzliche Erkenntnis: ‚Eigentlich ist es gut‘, die gibt mir eine gewisse Ruhe, in den Momenten, in denen es geht, zu arbeiten und in den anderen es hinzunehmen, dass es nicht geht. Dadurch gewinnt die Arbeit eine gewisse natürliche Dynamik. Dabei versuche ich weiter, mich an feste Zeiten zu halten und nicht lediglich darauf zu warten, dass ich mich inspiriert fühle. Ich fange gerne morgens an und höre mittags wieder auf – wenn es denn möglich ist.
09. Ich glaube an Fleiß und Regelmäßigkeit. Ich glaube nicht, dass man nur dann arbeiten kann, wenn man sich wirklich danach fühlt. Meiner Erfahrung nach stellt sich der Flow irgendwann ein, so ähnlich wie beim Jammen in der Musik. Es lohnt sich, erst einmal anzufangen. Manchmal passiert der Flow nicht, aber das ist nicht schlimm. Es wird ein anderer Tag kommen, da wird er wieder da sein. Ich denke, dass Künstler/innen produktiv sein können, solange sie noch nicht satt sind. Das kann sich in Neugierde ausdrücken oder in einer gewissen sexuellen Lust. Künstlerische Arbeit ist letztlich etwas Erotisches. Wenn du satt bist, ist es wahnsinnig schwer, diese kreative Spannung aufzubringen, die du brauchst, um künstlerisch etwas zu schaffen. Deshalb gelingt gute Kunst häufig gerade in schwierigen Phasen des Lebens.
10. Als Künstler/in braucht man eine gewisse Sensibilität der Welt gegenüber, die Bereitschaft, die Dinge wirklich wahrzunehmen, so wie sie sind. Und wenn das der Fall ist, kann man sich eigentlich nicht satt und zufrieden zurücklehnen. Vielleicht liegt hier auch tatsächlich die Verantwortung der Kunstschaffenden: dass die Kunst das Weltgeschehen begleitet und kommentiert und neue Perspektiven anbietet und sich auch daran abarbeitet, weil man die Dinge nicht einfach so sein lassen kann, wie sie sind. Das lässt sich natürlich psychisch nicht immer leicht aushalten. Vielleicht ist es kein Wunder, dass viele Künstler/innen früh sterben.
11. Kunst ist eine geistige Arbeit. Natürlich brauchst du manchmal auch die Hände, ein gewisses Handwerk, Technik und so, aber der eigentliche Punkt an der künstlerischen Arbeit ist der, dass sie geistige Arbeit ist. Und wer seinen Geist trainiert und pflegt, investiert auch in seine künstlerische Arbeit. Ein intelligenter Künstler, eine kluge Künstlerin schafft bessere Arbeit als ein Idiot. Deshalb kann ich nur jeden ermutigen: Bilde dich fort. Das Thema ist egal. Man muss als Musiker nicht nur Musikliteratur lesen oder sich als Fotograf nur mit Fotografie beschäftigen. Alles ist dafür da, um den Geist zu weiten. Am Ende besteht die künstlerische Arbeit darin, dass man das, was man glaubt, von der Welt verstanden zu haben, oder die Fragen, die man hat, individuell ausdrückt, auf die Art, die man für sich gefunden hat. Aber da ist eben jede Menge geistige Arbeit im Vorfeld notwendig.
12. Wenn ich mich bilde, sehe ich das als eine Investition in meine eigene Persönlichkeit. Und was ich dann in mir aufbaue an Wissen, Charakter, Persönlichkeit, das fließt wieder zurück in meine Arbeit. Das ist also eine mittelbare Investition in die Kunst. Es kann sein, muss aber nicht sein, dass ich Themen, über die ich mich fortgebildet habe, eins zu eins künstlerisch umsetze. Aber ich als Mensch werde weiter und offener gegenüber der Welt. Auf der Grundlage dieses erworbenen Wissens kann ich meine Arbeit machen, und die wird davon beeinflusst werden.
13. Ich glaube, Künstler/innen haben die Verantwortung, sich mit der Welt zu beschäftigen und neue Perspektiven anzubieten. Das ist ihre gesellschaftliche Rolle, dass Menschen sich dann wieder mit ihrer Arbeit beschäftigen können und die Welt, das Leben aus neuen Blickwinkeln betrachten können. Das hat meiner Ansicht nach eine gewisse spirituelle Note: die Kunst als Wegweiser. Dafür ist es notwendig, sich nicht einzubunkern oder sich in seinen Elfenbeinturm zurückzuziehen und da seine Sachen zu machen, sondern rauszugehen und sich mit der Welt zu beschäftigen, sich weiterzubilden. Ich gebe aber zu, dass das mein persönliches Kunstverständnis ist und dass man das natürlich auch anders sehen kann.
14. Wirtschaftlich gesehen wäre es für mich besser, wenn ich mich nur mit einer konkreten Kunstform beschäftigen würde, weil ich dadurch schneller ein bestimmtes Publikum mit einem ganz konkreten Interesse aufbauen würde. Das Problem ist, dass ich so schnell gelangweilt bin. Und Langeweile finde ich schlimmer als wirtschaftlichen Misserfolg. Ich finde die Vorstellung grauenhaft, dass ich immer ein und dasselbe machen müsste, weil das nun mal mein Markenzeichen geworden ist. Wie zum Beispiel das Ehepaar Becher, das immer Industrieanlagen fotografiert hat, immer im selben Stil.
Möglicherweise bin ich innerlich auch zu sehr getrieben. Es ist natürlich auch Lust an der Arbeit, aber eben auch das Gefühl, dass es weitergehen muss und dass es niemals genug ist, und dass es keinen Stillstand geben darf. Vielleicht liegt das daran, dass die kapitalistische Gesellschaft mich stark geprägt hat. Sicher liegt es auch an der der Realität der Social Media, für die nur das relevant ist, was gerade passiert: Nur das, was gerade passiert und dann dokumentiert und inszeniert wird, wird tatsächlich als existent registriert.
15. Wer nicht etwas like-bares vorzuweisen hat, gerät in Vergessenheit. Wenn du nicht nachvollziehbar passierst, existierst du in der Wahrnehmung der Leute auch nicht. Deshalb ist es ein Problem als Künstler relevant zu bleiben, wenn du an einem längerfristigen Projekt arbeitest wie zum Beispiel einem Roman. Was man dann also vorzeigt, sind Making-ofs, Blicke hinter die Kulissen usw. Das machen wir deshalb, weil das Werk noch nicht fertig ist und wir noch nichts anderes vorzeigen können als das, was wir gerade so tun. Aber wenn wir dazu nicht bereit sind, ‚passieren‘ wir nicht in den Social Media und geraten in Vergessenheit. Der Output von Content hat Auswirkungen auf deine Relevanz. Wenn du regelmäßig Content produzierst und publizierst, behalten dich die Leute auf dem Schirm. Natürlich gibt es Künstler, die sich das leisten können, vollkommen von der Bildoberfläche zu verschwinden, weil sie interessanter werden, je länger sie verschwunden sind. Aber das gilt für die allerwenigsten. Die meisten von uns sind so klein und unbekannt, dass wir, wenn wir gar nichts machen, einfach weg sind. Das führt auch zu einem gewissen Getriebensein.
16. Man könnte natürlich auch einen andern Weg gehen und sagen: ‚Die Marktmechanismen interessieren mich nicht, ich will mit dem, was ich mache, ein Statement machen.‘ Es geht dann nicht darum, wirtschaftlich erfolgreich zu sein, sondern einfach ein gutes Stück Arbeit in die Welt zu setzen und damit zufrieden zu sein, dass ein paar Leute es entdecken und es zu schätzen wissen. Und dann hat das auch seinen Wert.
17. Es ist während der Coronakrise viel von der Gesellschaftsrelevanz der Kunst gesprochen worden, als es vielen soloselbständigen Künstler/innen sehr schlecht ging. Im Bewusstsein der Gesellschaft ist das nicht angekommen, wie relevant die Kunst wirklich ist. Das ist ein bisschen verrückt, denn wir sind alle Konsumenten kultureller Güter: Geschichten, Bücher, Musik, Filme, Serien, Bilder, PC-Games … Wir konsumieren das alles in riesigen Mengen. Und es scheint vollkommen in Ordnung zu sein, wenn man dafür fast nichts bezahlt, kostenlos ist noch besser, Hauptsache viel! Wenn all das wegfallen würde, würde man das sehr stark merken und zwar nicht nur deshalb, weil man dann nicht mehr wüsste, wie man sich die Zeit vertreiben soll. Die Geschichten, die erzählt werden, prägen stark das Selbstverständnis einer Kultur, die Geschichten, die wir uns selbst erzählen, denen wir zuhören, wer für uns Helden sind oder Schurken, was gut ist und böse, was erstrebenswert ist. All diese Kulturgüter erzählen diese Geschichten, stellen sie uns in Bildern vor Augen, und wir integrieren das in unser Weltbild, in die Art und Weise, wie wir die Welt verstehen und auch uns selbst, wie wir uns selbst gerne sehen möchten. Das ist sehr gesellschaftsrelevant, das prägt das ganze Selbstverständnis einer Kultur. Und das ist nicht im Bewusstsein der Mehrheit angekommen. Wir Künstler/innen sind ein netter Zeitvertreib, wir sind nice to have, wir sind das IKEA-Bild über dem Sofa. Wenn eine Gesellschaft die Bedeutung der Kultur ernst nehmen würde, die Relevanz der Kulturschaffenden und der Kulturgüter, dann würde sie da hinein investieren, dann würde sie es vielleicht sogar möglich machen, dass man davon leben kann. Was ich mir wünsche, sind kleine Gemeinschaften innerhalb der großen Gesellschaft, die sagen: ‚Diese Art von kultureller Arbeit finden wir so wichtig, dass wir sie erhalten wollen. Wir möchten dafür sorgen, dass die Leute, die sie herstellen, davon leben können.‘
18. Eine Gesellschaft erzählt sich selbst die Geschichten, die sie am liebsten hören möchte. Und die beliebtesten und erfolgreichsten Geschichten sind die bestätigenden: Das sind die Geschichten, die die Dinge, so wie sie sind, bekräftigen und unterstreichen. Diese bestätigenden Geschichten sind deshalb erfolgreich, weil sich eine Mehrheit unter den beschriebenen Umständen wohlfühlt und deshalb auch die bestätigenden Geschichten mag. Natürlich gibt es auch immer Minderheiten, die sich unter den gesellschaftlichen Umständen nicht wohlfühlen, sogar darunter leiden. Kunst kann sich aber entscheiden, ob sie affirmativ oder subversiv sein will: Sie kann auch andere Geschichten erzählen, die die Verhältnisse eben nicht bestätigen, sondern hinterfragen. Diese Kunstformen erzählen alternative Geschichten, Gegenerzählungen, die die Erwartungen unterlaufen. Ich sehe darin eine große Verantwortung der Kunst. Man kann als Künstler/innen bestehende Machtverhältnisse nicht immer nur bestätigen. Allerdings ist das der sicherste Weg zum Erfolg. Deshalb zucken viele von uns zurück und sagen: ‚Ich würde gerne mal was anderes machen, aber ich kann mir das nicht leisten.‘ Jede/r muss sich fragen, was ihr/ihm wichtiger ist: den Job ernst nehmen oder über die Runden kommen.