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Wie ich Songs schreibe

Als ich ein älterer Jugendlicher oder vielleicht auch junger Erwachsener war (so genau weiß ich das nicht mehr), hatte ich, was das Schreiben von Liedern angeht,  eine wichtige Erkenntnis: Ich kann das. Damit meinte ich nicht, dass ich mich für besonders begabt hielt, Lieder zu schreiben. Es war vielmehr die ganz banale Erkenntnis, dass ich Worte und Töne miteinander verbinden konnte und dass auf diese Weise ein Lied entstand.

Ich hatte einen ziemlich schlechten englischen Text verfasst, eine Art Gedicht, und dann in einem Anfall von Wagemut mir dazu mehr oder weniger passende Töne ausgedacht. Und siehe – ein Lied war entstanden. Wie gesagt, es war ein schlechtes Lied. Aber davon abgesehen könnte ich es heute noch singen. Ich war total beeindruckt: Plötzlich war etwas da, das es vorher noch nicht gegeben hatte, weil ich es mir ausgedacht hatte.

Ich hatte bisher gar nicht gewusst, dass ich das überhaupt durfte! Dafür waren nach meinem Verständnis andere zuständig: begabtere, geschultere, wichtigere, berufenere Menschen. Dass ich nun einfach so versucht hatte, mir ein Lied auszudenken, hatte nach meinem Empfinden etwas Anmaßendes an sich. Aber nun war es passiert, einfach so.

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Auch heute noch besteht das Schreiben von Liedern für mich vor allem in der ganz banalen Tätigkeit, Worte und Töne miteinander zu verbinden. Ich denke Musik vor allem in einzelnen Tönen, nicht so sehr in Harmonien. Wenn ich mir einen Ton vorstelle und wenn ich mir eine Tonfolge ausdenke, ‚höre‘ ich die Harmonien im Hintergrund. Ich könnte sie aber nicht benennen. Mein musiktheoretisches Know How ist zu unterentwickelt, es besteht nicht in solidem Wissen, sondern beruht eher auf Gefühl und Intuition. Ich kann also zu jeder Akkordfolge spontan eine Melodie improvisieren. Aber ich habe keine Ahnung, was genau ich da tue. Das, würde ich sagen, unterscheidet mich von ‚echten‘ Musikern.

Doch obwohl ich mich selbst nicht als Musiker sehe, kann ich trotzdem Lieder schreiben. Denn ich ‚höre‘ ständig Musik. In Wahrheit höre ich sie nicht wirklich. Bei uns zu Hause läuft fast nie laut Musik. Sie ist in meinem Kopf, und zwar ständig. Als Jugendlicher hielt ich das für ein Problem. Wenn ich morgens aufwachte, hörte ich den Song, den ich am Vortag rauf- und runtergespielt hatte. Wenn ich mit dem Fahrrad zur Schule fuhr, hörte ich einen Beat, passend zum Rhythmus der Pedale. Wenn ich mich im Unterricht langweilte, trommelte ich Rhythmus-Pattern auf der Tischplatte. Mir machte das ein bisschen Sorgen. War mir die Musik vielleicht zu wichtig? Oder war ich vielleicht nicht ganz normal?

Heute mach ich mir keine Sorgen mehr. Es ist einfach so, ich ‚höre‘ Musik, Licks, Hooklines, Beats oder ganze Melodien, Selbsterdachtes oder Neulichgehörtes, egal. Sogar Sprache hat für mich einen musikalischen Klang. Worte und Töne verbinden sich für mich quasi von selbst, Sätze sind als Wortfolgen gleichzeitig Tonfolgen und daher Melodien. Für das Schreiben von Liedern ist das natürlich hilfreich. Wenn ich mir einen Song ausdenke, dann kann es sein, dass ich zunächst eine griffige Zeile im Kopf habe. „Hierum, darum / lirum, larum, Löffelstil / Ich weiß, ich weiß nicht viel …“ (Lirum Larum von TimTom Guerilla) Die Töne folgen fast automatisch. Umgekehrt kann es aber auch sein, dass ich eine kurze Sequenz von Tönen im Kopf habe, die ich in Gedanken immer und immer wiederhole, bis sie sich glatt und griffig geschliffen hat. Dann folgen Worte, die wiederum Einfluss auf die Töne haben, usw.

Da mein iPhone mein ständiger Begleiter ist, nehme ich hin und wieder einzelne Ideen, Melodien oder Licks auf. Ich singe sie dann einfach ins Mikrofon, laut, wenn ich zum Beispiel alleine im Auto sitze, eher leise, wenn ich zum Beispiel mit dem Zug reise. Für Texte, die mir spontan kommen, gibt es die Notiz-App. Die besten Momente, um kreative Ideen zu sammeln, sind Momente des Müßiggangs. Wir Preußen haben zwar mal gelernt: ‚Müßiggang ist aller Laster Anfang!‘ Aber das ist Quatsch. In Wirklichkeit braucht man Muße, um kreativ zu sein. Gut also, wenn man zur Muße gezwungen ist: beim Kinderhüten auf dem Spielplatz, im Zug, an einem langweiligen Sonntagnachmittag … In diesen Momenten kommen die besten Ideen. Oder wahrscheinlich kommen sie gar nicht. Sie sind schon lange da und werden nun endlich wahrgenommen.

Wenn ich einen Song schreibe, erlaube ich mir alles. Ich belaste mich nicht mit einer Aussage, die ich machen will. Ich interessiere mich nicht dafür, was ‚man‘ (wer soll das sein?) so macht oder nicht macht. Gut ist, was mir gefällt. Wenn mir eine gute Idee einfällt, zieht sie eine weitere nach sich. Wenn ich dagegen anfange, mühsam zu konstruieren, weil eine Idee nur halb, aber nicht ganz stimmig ist, blockiere ich. Dann ist es besser, sie wieder fallen zu lassen, auch wenn sie vielversprechend war. Ich bin in dieser Hinsicht gerne verschwenderisch. Wo die eine Idee herkam, gibt es noch mehr. Ich brauche sie nicht horten, nicht krampfhaft festhalten, nicht mühsam zurecht biegen. Es passt nicht? Vergiss es! Fang noch mal an.

Mir gefällt das Schlichte, Leichte. Wenn es auch intelligent sein soll, braucht es natürlich Tiefe. Aber diese Tiefe kommt nicht in den zwei Stunden zustande, in denen ich an dem Lied arbeite. Sie entsteht vorher, in den Wochen, Monaten und Jahren, in denen ich damit beschäftigt war, Krisen zu überstehen, Gefahren zu trotzen, Erfolge zu feiern, mich neu zu verlieben (in meine Frau natürlich) oder einfach nur nicht zu verzweifeln. Für ein Lied schöpft man aus dem Fundus, den man sich vorher Jahre lang und mühsam aufgebaut hat.

Jetzt habe ich Worte, Sätze, Reime, die mir gefallen, ich habe Tonfolgen, Rhythmen, griffige Motive. Und nun? Wird gefeilt. Bei mir heißt das Summen, Singen, Pfeifen, Grübeln, bis es sitzt. Das passiert nebenbei beim Kochen, Wäsche aufhängen, Autofahren usw. Es muss leicht gehen, es muss gleiten, es muss grooven, es muss eine natürliche Selbstverständlichkeit haben. Ich muss das Gefühl haben, dass es klingt, als müssten die Wortfolgen und Tonfolgen genau so sein und nicht anders (auch wenn man, wie im Leben, immer eine Alternative hat). Wenn meine Familie ein Lied summt oder pfeift, das sie noch gar nicht kennen kann, weil es eigentlich nur in meinem Kopf existiert, dann ist das ein gutes Zeichen.

Wenn ich mir sicher bin, dass Worte und Melodie so sind, wie sie sein sollen, beschäftige ich mich mit den Harmonien. Das ist, als Nichtmusiker, meine größte Hürde. Ich stöpsle deshalb meinen Midi-Controller an mein iPad, krame das kleine Bisschen Musiktheorie hervor, an das ich mich erinnern kann, und bestimme die Tonart und Akkordfolgen. Dabei hilft mir Apples wunderbare App ‚Garageband‘. Die gibt mir nämlich gleich alle Akkorde an, die zu einer Tonart gehören.

So ist das bei mir. Bei anderen ist es total anders. Aber das ist doch das Schöne, das, wie der Weg dorthin auch aussehen mag, am Ende neue, schöne Dinge dabei herauskommen, Dinge, die es vorher so noch gar nicht gegeben hat.

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