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Fotografieren als Kontemplation – Warum gerade die analoge Fotografie eine Achtsamkeitsübung ist

Dieses Bild habe ich mit einer alten Filmkamera geschossen, die anderthalb Kilo wiegt. Ich habe sie durch das heiße Jerusalem geschleppt und dann versucht, mit diesem Monstrum einigermaßen diskret zu fotografieren (was oft nicht funktioniert hat). Dass ich es eigentlich nicht hätte machen dürfen, erläutere ich an anderer Stelle (und auch, warum ich es dennoch getan habe). Sagen wir einfach, dass die Umstände nicht ganz leicht gewesen sind.

Die Kamera hat keinen Autofokus, keinen Bildstabilisator, der das Wackeln meiner Hände ausgleichen könnte (es ist eine Mamiya 645 1000s). Der Belichtungsmesser funktioniert recht gut. Aber die Lichtempfindlichkeit des Filmes steht natürlich fest, ich kann sie nicht per Knopfdruck erhöhen. Bei einer digitalen Kamera hätte ich das getan, weil es nämlich, trotz der hellen Scheinwerfer auf dem Platz vor der Jerusalemer Westwall, in dem Moment, in dem das Bild entstand, zum Fotografieren viel zu dunkel gewesen ist.

Deshalb musste ich den Film später auf eine besondere Weise entwickeln, ich musste ihn gewissermaßen überentwickeln, weil ich den Film ganz bewusst unterbelichtet hatte. Das nennt man Pushen.

Ich entwickle meine Filme selbst. Die Schwarzweiß-Filme entwickle ich in Kaffee. Ja, das geht tatsächlich. Man nennt diesen Entwickler Caffenol, und man kann ihn auf verschiedene Arten zubereiten. Rezepte findet man zum Beispiel auf der großartigen Webseite ‚Caffenol‘ (http://caffenol.blogspot.com/). Für meinen Entwickler verwende ich auf einen Liter Leitungswasser 16g Waschsoda, 10g Vitamin C, 40g von dem löslichen Mocca von ALDI und eine Winzigkeit Kaliumbromid (etwa 1,5g).

Das Entwickeln dieses Bildes hat mich etwa zwei Stunden gekostet.

Warum?

Warum analog, warum nicht digital? Warum nicht ein bisschen mehr Technik, die alles vereinfachen könnte? Warum selbst entwickeln, warum mit Kaffee?

Anfangs hat es sich vor allem um finanzielle Gründe gehandelt. Ich wollte richtig gute Bilder mit richtig guten Kameras machen. Und die aktuellen richtig guten Kameras kann ich mir schlicht nicht leisten. Ältere analoge Kameras dagegen, die für den professionellen Gebrauch hergestellt worden sind, sind erschwinglich. Sie kommen aus zweiter Hand und sind nicht mehr so stark gefragt. Wenn sie aber in Schuss sind, handelt es sich noch immer um exzellente Apparate.

Dann haben mich die Ergebnisse überzeugt. Ich finde, dass ein Bild, das auf einem Film und nicht auf einem Sensor aufgenommen wird, anders aussieht. Vielleicht bilde ich mir das ein. Aber mir scheint, dass ein digital aufgenommenes Bild durch seine absolute Reinheit etwas Steriles an sich hat, das ich als unterkühlt empfinde. Mir fehlt eine gewisse gebrochene Ästhetik, die mich interessiert und die ich bei analogen Bildern zu entdecken meine. Wo sie fehlt, bin ich als Betrachter schnell gelangweilt. Perfektion langweilt mich.

Später habe ich bemerkt, dass ich übersehen hatte, wie teuer es ist, immer wieder Filme zu kaufen und entwickeln zu lassen, vor allem dann, wenn man wie ich im Mittelformat fotografiert (das ist ein etwas größeres Format als die Kleinbildfilme, die man noch im Drogeriemarkt kaufen kann). Um die Kosten wenigstens ein bisschen einzudämmen, habe ich mich entschlossen, selbst zu entwickeln.

Inzwischen stelle ich fest, dass der Reiz des Ganzen nicht so sehr im Ergebnis liegt oder in der Reduktion von Kosten. Er liegt im Prozess. Es ist die konkrete Arbeit an einem konkreten Bild, das physisch hergestellt wird und auch physisch weiterverarbeitet wird. Es ist die Zeit, die es kostet (nicht die Zeitersparnis), die Tatsache, dass ich mich abmühen muss, um zu meinem Ziel zu kommen.

Alles wird langsamer: Die Suche und die Wahl des Motivs, die Komposition (Bildausschnitt, Fokus, Zeitpunkt der Aufnahme, Belichtung), die Unsicherheit, ob das Bild etwas geworden ist, die Entwicklung – also: die eigentliche Erzeugung – des Bildes usw. Das Ganze verleiht der Fotografie eine fast schon kontemplative Note, die unserem sonstigen Bestreben, jede Tätigkeit immer noch schneller erledigen zu können, total entgegenläuft. Der Prozess der künstlerischen Arbeit wird ausgedehnt. Und ich gehe davon aus, dass dadurch auch der Blick auf die Welt ein anderer wird.

Der emotionale Wert der Bilder für mich persönlich wird durch den erhöhten Aufwand natürlich gesteigert. Für jedes Bild habe ich hart gearbeitet, ich habe mir eine neue Perspektive auf die Dinge erkämpft. Und wenn es dann gut geworden ist, erlebe ich eine tiefe Zufriedenheit.

Ich hoffe, dass die Bilder der Ausstellung das alles zumindest ein bisschen durchscheinen lassen, dass sie dabei helfen zu entschleunigen und das Augenmerk auf Dinge zu richten, die wir sonst übersehen würden, dass sie vielleicht sogar die Dinge ganz neu und ganz anders aussehen lassen.