An dem Tag, an dem ihm klar wurde, dass sich sein altes Leben aufgelöst hatte, fühlte er sich frei. Jens kam es so vor, als hätte er sich endlich getraut, an dem herunterhängenden Faden eines Wollpullovers zu ziehen. Etwas, das er schon lange vorgehabt hatte, zu dem es ihn geradezu gedrängt hatte, zu dem er sich aber nie hatte entschließen können, weil er wusste, was dann passieren würde.
Er atmete kräftig durch die Nase ein und durch den Mund wieder aus. Langsam drehte er sich um die eigene Achse und ließ den Blick über Möbel und Gegenstände des Wohnzimmers schweifen. An der Wand hingen Fotos, die er gemacht hatte. Er war einmal stolz auf sie gewesen. Jetzt waren sie ihm peinlich. Zeugnisse eines kleinen Geistes, eines durchschnittlichen Geschmacks. Feige. Um Richtigkeit bemüht. Esther würde sie sicher abhängen. Er wollte sie auch nicht mehr. Die Projekte der Zukunft würden größer, gewagter, riskanter sein müssen.
Er schulterte die Tasche mit den zwei Kameras und den Objektiven und hob den Koffer vom Boden auf. Esther hatte gesagt, dass sie den Rest seiner Ausrüstung verkaufen würde, wenn er sie nicht mitnähme. Er hoffte, dass das eine leere Drohung war. Aber selbst wenn nicht – er konnte das Zeug jetzt nicht mitnehmen. Er würde es später holen, wenn er eine eigene Wohnung gefunden hatte.
Jens setzte den Koffer noch einmal ab und holte sein Smartphone hervor. Eine Sache noch. Die musste er sofort erledigen, solange er noch hier war. Er fand die Nummer, die er sich schon vor anderthalb Jahren abgespeichert hatte, rief an und verabredete einen Termin für eine Tantra-Massage. Dann packte er seine Sachen und verließ das Haus. Er drehte sich nicht um, als er die Kielkämpe hinablief, obwohl der Drang, es zu tun, beinahe übermächtig war.