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‚300‘, Meloni und die neuen Faschisten

In der letzten Folge von Cobains Erben über den neofaschistischen Film ‚300‘ von Zack Snyder habe ich angekündigt, ich würde meine Notizen, die ich mir während des Anschauens des Films gemacht habe, hier noch einmal als Artikel veröffentlichen. Später bin ich mir nicht mehr sicher gewesen, ob das wirklich nötig ist. Wen interessiert das? Doch nur diejenigen, die den Film gesehen haben. Und die sollten bei dessen holzhammermäßiger Bildsprache von ganz alleine auf die Idee gekommen sein, dass die Ähnlichkeiten mit der Propaganda der Nazis bzw. der Neo-Rechten offensichtlich sind. Dazu braucht es keinen weiteren Artikel von mir, dachte ich.

Aber genau eine Woche nach der Veröffentlichung unserer Folge passierte etwas: Italien hat seit Sonntag eine faschistische Premierministerin. Giorgia Meloni hat mit ihrer Partei, der Nachfolgerin der Partei Mussolinis, die Wahl gewonnen. Sie sieht sich zumindest teilweise in der Tradition des Duces, was ihr Slogan ‚Gott, Vaterland, Familie‘ überdeutlich macht.

In den sozialen Netzwerken kursierte sehr bald ein Schnipsel aus einer älteren Rede von ihr, der von Rechts-Konservativen bejubelt wurde:

„Wow“, schreibt Malcolm Roberts, Senator von Queensland auf Twitter, „Italiens neue Premierministerin Giorgia Meloni fasst es perfekt zusammen. Kein Wunder, dass die Eliten und das Establishment nicht wollen, dass sie gewinnt.“

Die Eliten? Das Establishment? Wenn jemand wie Roberts der Gouverneur eines australischen Bundesstaates ist, ist er dann nicht auch Teil der Elite und des Establishments? Oder muss er nach Feierband im Park Pfandflaschen sammeln, um sein Einkommen aufzubessern? Wohnt er in einem Wohnblock an einer dichtbefahrenen Straße? Kann er es sich leisten zu heizen? Wer sind diese Eliten, zu denen der Gouverneur von Queensland nicht gehören will?

Vielleicht sind es die ‚financial speculators‘, von denen Meloni spricht. Aber wer soll das sein? Wer ist so gemein, aus uns Sklaven des Konsumismus, eine Nummer, eine Zahl machen zu wollen, damit wir die Taschen, die Geldkoffer der ‚Spekulanten‘ füllen? Wer will uns unsere Identität rauben als Bürger einer Nation, als Mütter, Väter, Ehemänner- und -frauen, Christen und Christinnen?

Der Historiker und Buchautor Michael Beschloss hat dazu eine interessante Beobachtung, die er ebenfalls auf Twitter geteilt hat.

Juden.

Juden? Warum gerade die? Weil sie schon in den Verschwörungstheorien der Ur-Ur-Ur-Ahnen als die gelten, die die globalen Geldflüsse kontrollieren und alle hart und – im Gegensatz zu ihnen: ehrlich – arbeitenden Menschen in den Untergang treiben. Sie, die angeblich keine eigene Identität haben, aber vermeintlich in allen großen Aktionen der Finanzwirtschaft ihre Finger im Spiel haben. Meint Meloni das so?

Sie würde es mit Sicherheit verneinen, wenn man sie darauf ansprechen würde. So wie Zack Snyder es bestimmt verneinen würde, wenn man ihn fragte, ob der reiche, mit Goldketten behangene Schwarze, der die verkommenen Priester und das griechische Parlament im Film kauft, damit sie gegen den Krieg der Spartaner stimmen, ob dieser diabolisch grinsende Typ eine antisemitische Anspielung sei. Nein, natürlich nicht, würden sie beide sagen, wir haben überhaupt nichts gegen Juden. Wir sind Freunde des jüdischen Volkes, mein Gott, mein BESTER FREUND ist Jude! Wir benutzen eben nur Worte und Bilder, die rezeptionsgeschichtlich so vorbelastet sind, dass sie von Eingeweihten sofort als antijüdische Propaganda erkannt werden müssen.

Was beide, sowohl Meloni wie auch Snyder beschreiben, ist der Abwehrkampf einer kleineren Gruppe von Menschen, die sich ihrer Identität bewusst ist (geschlechtlich, national, kulturell), gegen eine Übermacht heterogener, kulturell und auch sexuell pluraler Massen, die über die kleine Schar Getreuer hereinzubrechen droht, so dass die gezwungen ist, sich in einem heroischen Krieg zu behaupten. Hinter diesem Ansturm steht nach Überzeugung der kleineren Gruppe etwas Böses – eine Macht, eine Lobbygruppe, ein Herrscher, eine Weltanschauung – gegen das es zu kämpfen gilt.

Diese Geschichte erzählt der Film. Und sie klingt an in neo-rechter Rhetorik, im Gerede von der Überfremdung, vom Großen Austausch, dem Great Reset. Oder von ‚financial speculators‘.

Warum ist es wichtig, über einen Film wie ‚300‘ zu sprechen? Weil er leider relevant ist, wie der vergangene Sonntag zum x-ten Mal beweist. Weil Filme wie dieser das verschwörungstheoretische Bildrepertoire anreichern, neu aufladen, es auf aktualisierte Weise neu zugänglich machen, so dass Verschwörungstheoretiker einzelne Tropen nur ansprechen brauchen, um die Erinnerung an das ganze, große Narrativ zu wecken, um die Gläubigen neu zu bestärken, um sie für den gemeinsamen Kampf zu motivieren, um die Reihen zu schließen, wie es ‚300‘ ausdrücklich thematisiert: „A Spartan’s greatest strength: The warrior next to him!“, weshalb es nicht Schlimmeres gibt als einen (Volks-)Verräter. Klingt bekannt? Soll es auch.

Der Kampf für ‚Gott, Vaterland, Familie‘ spielt nicht nur in ‚300‘ eine große Rolle, sondern seit Neuestem auch wieder in Italien. Und nicht nur dort. Wobei klar ist, welcher Gott, welches Vaterland und welche Form der Familie damit gemeint ist und welche nicht.

(Nachtrag, den ich hier anfügen muss, um meinen Schluss nicht kaputt zu machen: Du denkst vielleicht: „Welcher Gott denn? In ‚300‘ ist es Zeus, für Meloni ist es Jesus Christus. Im Film kämpft Sparta für Griechenland, Meloni kämpft für Italien.“ Dir scheint die Szene im Film entgangen zu sein, in der Leonides in der Schlucht am Meer von hinten zu sehen ist, während sich seine Getreuen hinter ihm versammeln. Diese Szene ist natürlich kein Zufall, sondern spielt ikonographisch an die Darstellungen von Mose und Israel beim Durchzug durch das Rote Meer an. Und der sich anschließende Triumph, als die persische Flotte im Sturm ertrinkt, spielt an die Freude Israels an, als das ägyptische Heer von den Wassermassen begraben wird. Es wird also von Zeus geredet, aber gemeint ist damit eigentlich ‚unser‘ Gott. Also doch kein Antisemitismus? Immerhin wird hier ein großer jüdischer Mythos zitiert. Ich würde behaupten: Eher in dem Sinne, wie Konservative (und Neu-Rechte) vom ‚jüdisch-christlichen Erbe‘ sprechen und damit (indem sie unter den Tisch fallen lassen, wie desaströs dieses Erbe für Juden gewesen ist) vor allem Europa meinen. Europa im Sinne von: weiß, christlich, rational, national. So darf man getrost auch Meloni verstehen, wenn sie ‚Italien‘ sagt. Zumindest würde mich das nicht wundern. Und die ‚Familie‘ besteht natürlich aus Vater, Mutter, Kind.)


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