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Ein Gebet als Machtdemonstration

Neulich habe ich das hier auf Twitter entdeckt und fand es ziemlich interessant:

Ein großer, augenscheinlich muskulöser Mann steht vor einem Mikrofon. Hinter ihm ein Treppenaufgang zu einem großen, womöglich offiziellen Gebäude. Der Mann spricht mit tiefer, sonorer Stimme. Seine Augen sind geschlossen, er wendet den Kopf nicht nach rechts und links, denn er redet nicht zu den Anwesenden. Er betet.

Er sagt: „And father we just claim Oklahoma for you. Every square inch we claim it for you in the name of Jesus. Father, we can do nothing apart from you. We know we don’t battle against flesh and blood, but against principalities and darkness. And father, we just come against that, we just loose your will over our state right now in the name of Jesus. We just thank you and we claim Oklahoma for you as the authority that I have as governor, as a spiritual authority and a physical authority that you give me. I claim Oklahoma for you that we will be a light to our country, and to the world right here from our state. And we thank you that your will was done on Tuesday, and father, that you will have your way with our state, with our education system, with everything within the walls behind me and the rooms behind me, Lord, that you will root out corruption, you’ll bring the right people into this building, father, from now on. („Und Vater, wir nehmen Oklahoma für dich in Besitz. Jeden Quadratzentimeter reklamieren wir für dich im Namen Jesu. Vater, wir können nichts ohne dich tun. Wir wissen, dass wir keinen Kampf gegen Fleisch und Blut führen, sondern gegen Mächte und die Finsternis. Und Vater, wir stehen einfach dagegen auf, und wir rufen deinen Willen auf unseren Staat herab in diesem Augenblick im Namen Jesu. Wir danken dir einfach und wir nehmen Oklahoma für dich in Beschlag mit der Autorität, die mir verliehen worden ist als Gouverneur, als geistliche und physische Autorität, die du mir gegeben hast. Ich reklamiere Oklahoma für dich, dass wir ein Licht sein mögen für unser Land und die ganze Welt, ausgehend von genau hier. Und wir danken dir, dass dein Wille am vergangenen Dienstag geschehen ist, und Vater, dass du in unserem Staat nach deinem Willen handelst, im Bildungssystem, in allem, was in den Mauern des Gebäudes hinter mir und in seinen Räumen geschieht, Herr, dass du die Korruption ausrotten und die richtigen Leute in dieses Gebäude hineinführen mögest. Von jetzt an.“)

Es ist der gerade wiedergewählte Gouverneur des Bundesstaates Oklahoma Kevin Stitt. Neben ihm steht eine deutlich kleinere, hübsche Frau. Auch sie scheint zu beten, jedenfalls bleibt sie reglos, hält den Kopf geneigt und die Augen geschlossen. Das einzige, das sich an ihr bewegt, ist ihr Kiefer, denn sie kaut einen Kaugummi, und ihr linker Arm. Der beschreibt immer wieder abrupte Richtungswechsel, schnellt auf und ab, streckt sich und sinkt wieder an ihre Seite.

Sie macht diese Bewegungen nicht willkürlich. Es sind die Bewegungen des Gouverneurs, der vermutlich ihr Ehemann ist. Er hält ihre Hand in der seinen, während er betend gestikuliert. Fast scheint es so, als würde es gar nicht bemerken, dass seine Frau all seine Gesten mit ihm gemeinsam ausführen muss. Statt ihrer Hand könnte er auch ein Feuerzeug halten oder eine Fernbedienung, irgendeinen Gegenstand, aber nun ist es eben die Hand seiner Gattin. Willenlos, fast seelenlos wirkt sie dadurch, wie eine Puppe, mit der er machen kann, was er will. Dieser Eindruck ist sicher nicht beabsichtigt, vielmehr versuchen sie Einmütigkeit zu demonstrieren, ein Ehepaar im Dienste Gottes und der Menschen, vereint gegen die Mächte des Bösen.

Sie wirkt feminin, ein breiter Gürtel betont ihre schlanke Taille, das Kleid liegt eng an und hebt ihre weiblichen Kurven hervor. Er dagegen überragt sie um mehr als eine Haupteslänge, groß, maskulin, kraftvoll. Beide investieren in ihr körperliches Erscheinungsbild Zeit, Energie, sicher auch Geld. Die Rollenverteilung innerhalb ihrer Beziehung scheint klar zu sein. Natürlich weiß man nicht, was hinter den verschlossenen Türen des nun gottgeweihten Gebäudes passiert. Aber hier, vor den Augen der Menschen, ist er ihr Haupt, das sie anführt und von ihr bedingungslose Loyalität erwarten darf.

Was betet er da eigentlich? Schon klar, er weiht den Bundesstaat Gott. Aber als „geistliche und physische Autorität“? Hat das Physische nichts mit dem Geistlichen zu tun? Wie unterscheidet man das? Und, da er es im Namen von Jesus tut: Hat er auch ‚Autorität‘ über muslimische, jüdische, buddhistische, hinduistische, atheistische und sonstige Bürgerinnen und Bürger? ‚Physisch‘ schon, immerhin ist er ihr Gouverneur, aber auch ‚geistlich‘? Wie das?

Gott selbst, sagt er, habe ihm dieses Amt übertragen. Nicht die Wähler. Es war Gott. Und jetzt ist er das geistliche Oberhaupt aller Menschen in Oklahoma, seien sie nun gläubig oder andersgläubig oder nicht. Und zwar innerhalb der Staatsgrenzen. Nicht darüber hinaus, denn es hat der Gottheit gefallen, seine Autorität auf die Grenzen des Staates zu beschränken. Und als das geistliche Oberhaupt ist er befugt, Entscheidungen zu treffen, nicht nur im ‚Physischen‘, sondern auch im ‚Geistlichen‘.

Genau das tut er gerade. ‚Right here. Right now.‘ In diesem Gebet. Er bittet Gott um nichts. Er proklamiert. Sein Sprechakt ist performativ: Das, was er sagt, so glaubt er, geschieht in dem Moment, in dem er es spricht. Er muss niemanden fragen. Er muss niemanden bitten, noch nicht einmal Gott. Er handelt, indem er spricht.

Ein merkwürdiges Amtsverständnis als Politiker. Es entspricht der Lehre des ‚Seven Mountains Dominionism‘ oder des ‚Seven Mountain Mandate‘ (nach einem Buch von Lance Wallnau und Bill Johnson), die besagt, dass Christen aufgerufen sind, sieben gesellschaftliche Sphären für Gott einzunehmen und zu dominieren: Familie, Religion, Bildung, Medien, Unterhaltung, Wirtschaft und Politik. Diese Lehre hat in den vergangenen Jahren starken Auftrieb erlebt und ist ein wesentlicher Motor hinter einem politischen Phänomen, das als ‚christlicher Nationalismus‘ bezeichnet wird und das auch vor Gewalt nicht zurückschreckt, wie z. B. der Sturm auf das Kapitol am sechsten Januar 2021 in Washington DC bewiesen hat.

Nicht alle Anhänger des Dominionismus bezeichnen sich als Nationalisten, nicht alle sprechen sich für den Einsatz von Gewalt aus. Aber es sind mehr, als man denken möchte und als evangelikale Christ*innen, die vor allem dem Seven Mountains Dominionism nahestehen, zugeben möchten. Denn es ist ganz maßgeblich evangelikal-theologischer Nährboden, auf dem diese polit-religiöse Lehre gewachsen und gediehen ist. Etliche von ihnen haben es in höchste politische Ämter geschafft, das politische Leben der USA trägt an vielen Stellen ihre Handschrift. Sie sprechen sich klar gegen die Trennung von Staat und Kirche aus und fordern, dass sich jede Person an christliche Wertmaßstäbe halten muss, auch Vertreter anderer Religionen, auch wenn es mit den Wertmaßstäben ihrer Religionen unvereinbar ist. Selbstverständlich sind Konflikte vorprogrammiert, und es scheint fast so, als wären die sogar erwünscht. Das eigentliche Feindbild ist nämlich die plurale Gesellschaft nach demokratischen Regeln. Das Ziel ist eine autoritäre, als christlich verstandene Regierung – die an vielen Stellen unchristlich handelt und menschliches Elend in Kauf nimmt, aber das ist ja wohl Interpretationssache, nicht wahr – und eine homogen ‚christliche‘ Gesellschaft.

Zurück zu Kevin Stitt und seiner hübschen Frau. Ist das sexistisch, wenn ich das so schreibe? Natürlich! Ist das aber das Bild, das die beiden abgeben möchten? Selbstverständlich. Sie demonstrieren das Verhältnis von Mann und Frau, Politik und Religion, Demokratie und Herrschaft. Alles in einem kurzen Gebet. Und noch etwas anderes: Macht. Denn alle, die sich nicht zum christlichen Glauben bekennen, alle, die sich nicht zu dieser Variante des Christentums bekennen, sollten sich warm anziehen.

So steht er da, mächtig, denn er ist groß und stark und ein Mann und von Gott beauftragt, und neben ihm steht seine Frau, klein und willig, der alte und neue Gouverneur von Oklahoma. So hat es Gott gewollt, denn er hat die Wähler so entscheiden lassen. Und wenn es irgendwann keine Wähler mehr gibt, weil die Demokratie abgeschafft worden ist, dann kriegt er das auch anders hin. Halleluja.

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