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Gofi Müller Beiträge

Das Leben leben, ohne zu urteilen (Hossa Talk #142)

In unserem Podcast Hossa Talk sprechen Jay und ich mit meiner Lektorin Sarah Koller über ‚Huchting‘. Zuerst erschienen ist diese Folge auf der Seite https://hossa-talk.de. Es gibt jede Menge Hintergrundinformationen zum Entstehungsprozess des Buches. Klickt einfach auf die Überschrift des ersten Kapitels, dann geht es los. Viel Spaß!

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Thomas Merton: Ein Wort an Dichterinnen und Dichter

In dem Band ‚Raids on the Unspeakable‘ (New Directions, New York 1966) hat der 1968 verstorbene Trappist und bekannte Mystiker und Dichter Thomas Merton eine Sammlung von verschiedenen Essays veröffentlicht, die sehr lesenswert, oft aber auch dunkel und poetisch sind, weshalb es sich anbietet, sie immer und immer wieder lesen.

Darunter ist auch ein Text, den er 1964 geschrieben hat. Es ist eine Botschaft an junge Dichterinnen und Dichter, die vor allem aus Lateinamerika stammten und sich in Mexico City trafen.

‚A Message to Poets‘ richtet sich an DichterInnen, aber auch an andere KünstlerInnen und schließlich an jeden, der sich dem Leben verpflichtet fühlt und die Notwendigkeit erkennt, gegen unterdrückerische und ausbeuterische Ideologien aufzustehen. Es ist ein Text, der aus einer tiefen Gläubigkeit schöpft und darin Motivation findet, sich den Dingen der Welt entschlossen zuzuwenden.

Ich habe den Text ins Deutsche übersetzt/übertragen, weil ich keine deutsche Version davon finden konnte und weil ich ihn für wichtig halte. Eine der nächsten Goficast-Folgen wird sich mit ihm auseinandersetzen.

Anmerkung: Diese Botschaft wurde bei einem Treffen der ’neuen‘ lateinamerikanischen Dichterinnen und Dichter vorgelesen, das im Februar 1964 in Mexico City stattfand und an dem auch einige aus Nordamerika teilnahmen. Es handelte sich hierbei nicht um einen sorgfältig geplanten und großzügig finanzierten internationalen Kongress, sondern um ein spontanes, aus der Begeisterung geborenes Treffen junger Dichterinnen und Dichter des globalen Südens, von denen sich die meisten die Teilnahme kaum leisten konnten. Eine peruanische Dichterin zum Beispiel hatte ihr Klavier verkauft, um die Reise zu finanzieren.

Wir, die wir dichten, wissen, dass der Grund für ein Gedicht erst dann entdeckt werden kann, wenn das Gedicht fertig ist. Der Grund für eine vom Leben inspirierte Tat erweist sich in der Tat selbst. Dieses Treffen ist eine spontane Explosion der Hoffnungen. Deshalb ist es ein Wagnis, das wir in prophetischer Armut eingehen, wird es doch von keiner Institution gefördert oder finanziert, von keinem Veranstalter geplant oder öffentlich bekannt gemacht, sondern es ist ein lebendiger Ausdruck des Glaubens daran, dass es nun neue Menschen, neue Dichterinnen und Dichter auf der Welt gibt, die keinem etablierten politischen System oder einer kulturellen Einrichtung verpflichtet sind – sei sie nun kommunistisch oder kapitalistisch – und die es wagen, ihrer eigenen Vision von Wirklichkeit und Zukunft zu folgen. Diese Versammlung ist vereint durch eine Flamme der Hoffnung, deren Hitze noch nicht gemessen, deren Wirkung noch von niemandem erfasst worden ist, weil dieses Feuer ganz und gar neu ist. Sein Grund kann von niemandem erkannt werden, der sich nicht an ihm wärmt. Der Grund, warum wir hier sind, wird erst dann sichtbar werden, wenn wir uns alle gemeinsam auf den Weg gemacht haben, ohne zu zögern, hinein in alle Widersprüche und Möglichkeiten.

Wir glauben, dass unsere Zukunft aus Glaube und Liebe gemacht wird, und nicht durch Gewalt oder Berechnung entsteht. Der Geist des Lebens hat uns hier zusammengeführt, an diesen Ort oder zumindest in gemeinsamer Übereinkunft, und er wird unsere Begegnung zu einer Offenbarung lauter Gewissheiten werden lassen, die wir jeder für uns alleine niemals erfahren könnten.

Der Zusammenhalt der Dichterinnen und Dichter wird nicht durch taktische Manöver oder politische Winkelzüge herbeigeführt, denn dafür wären Vorurteile, List und strategisches Handeln notwendig. Und bei allem, was man einem Dichter vielleicht vorwerfen mag, man kann ihm nicht nachsagen, dass er durchtrieben wäre. Seine Kunst beruht auf einer tiefverwurzelten Unschuld, die er verlieren würde, wenn er sich dem Geschäftlichen, der Politik oder einem streng reglementierten akademischen Leben widmete. Die Hoffnung, die sich auf kalte Berechnung verlässt, hat ihre Unschuld verloren. Wir dagegen rotten uns hier zusammen, um die unsrige zu verteidigen.

Jegliche Unschuld ist eine Sache des Glaubens. Ich spreche jetzt nicht von einer gemeinsam vereinbarten Übereinkunft, sondern ich rede von inneren Überzeugungen ‚aus ein und demselben Geist‘. Diese Überzeugungen sind so stark und unwiderstehlich wie das Leben selbst. Sie wurzeln in der Treue zum Leben, nicht zu künstlichen Systemen. Der Zusammenhalt der Dichterinnen und Dichter untereinander ist eine so elementare Tatsache wie das Sonnenlicht, der Wechsel der Jahreszeiten oder der Regen. So etwas kann man nicht planen, es kann nur geschehen. Es kann nur ‚empfangen‘ werden. Es ist ein Geschenk, für das wir offen sein und bleiben müssen. Niemand kann durch Konzepte den Sonnenaufgang herbeiführen oder Regen dazu veranlassen, dass er fällt. Das Wasser der Meere bleibt nass, trotz aller Programme und formaler Anstrengungen. Zusammenhalt ist nicht gleich Kollektivität. Die Planer eines kollektiven Lebens werden sich über die Ernsthaftigkeit, ja über die Tatsache unserer Hoffnung lustig machen. Sollte es ihnen gelingen, dass sie uns mit ihrem Zweifel anstecken, werden wir unsere Unschuld verlieren und mit ihr unseren festen Zusammenhalt.

Kollektives Leben wird häufig auf der Grundlage von List, Zweifel und Schuld erreicht. Echter Zusammenhalt wird zerstört durch die politische Kunst des Gegeneinanderausspielens und durch die kommerzielle Kunst, den ökonomischen Wert eines Menschen zu bestimmen. Diese illusorischen Maßstäbe hat der Mensch zur Grundlage genommen, um darauf eine Welt willkürlicher Werte zu errichten, ohne Leben oder Bedeutung, aber voller fruchtloser Betriebsamkeit. Wer einen Menschen gegen einen anderen ausspielt, ein Leben gegen das andere, das Werk eines Menschen gegen das eines anderen und dann meint, dessen Wert hinsichtlich seiner Kosten oder seiner wirtschaftlichen Bedeutung oder seines moralischen Verdienstes bestimmen zu können, der steckt alle anderen mit dem tiefsten metaphysischen Zweifel an. Getrennt voneinander und aufgehetzt gegeneinander im Wettkampf um den größten Wert, lassen sich die Menschen ohne weiteres zu Objekten machen, die auf dem Sklavenmarkt verhökert werden. Sie verzweifeln an sich selbst, weil sie erkennen, dass sie dem Leben und dem Dasein selbst untreu geworden sind, und sie finden niemanden mehr, der ihnen ihre Treulosigkeit vergeben würde.

Doch ihre Verzweiflung verdammt sie nur zu weiterer Untreue: Ihrer geistlichen Herkunft entfremdet, machen sie sich daran, den Geist ihrer Mitmenschen zu brechen, zu demütigen und zu zerstören. In diesem Zustand findet sich keinerlei Freude, nur Wut. Jeder Mensch spürt, dass sein grundlegendstes Wesen durch Misstrauen, Unglaube und Hass vergiftet wird. Jeder erlebt sein Dasein als eine Abfolge von Schuld und Verrat, und selbst der Tod bietet keinen Ausweg.

Wir verbünden uns und prangern dieses abgekartete Spiel als das an, was es ist: als schändlich, als Hochstapelei.

Wenn wir gegen diese Verirrungen vereint bleiben wollen, gegen die Mächte, die die Menschheit vergiften und sie zu Untertanen einer Welt machen, in der Bürokratie, Kommerz und Polizeistaat unantastbar erscheinen, dann dürfen wir uns nicht kaufen lassen. Wir müssen uns ihrer akademischen Beurteilungen verweigern. Wir müssen der Verführung durch öffentliche Aufmerksamkeit widerstehen. Wir dürfen es nicht zulassen, dass man uns in mystischen Vergleichen gegeneinander ins Feld führt, ob das nun durch die politischen, literarischen oder kulturellen Hüter der ‚reinen Lehre‘ geschieht. Wir dürfen uns nicht dazu verleiten lassen, dass wir uns zum Vergnügen ihrer Medien gegenseitig verschlingen und verstümmeln. Wir dürfen uns nicht von ihnen auffressen lassen, damit sie an uns ihre unersättlichen Zweifel stillen. Wir dürfen nicht einfach nur für etwas und gegen etwas anderes sein, selbst wenn wir für „uns“ und gegen „sie“ sind. Wer sind „sie“ schon? Wir sollten sie nicht dadurch bestärken, dass wir ihre „Gegner“ werden, was ja nahelegen würde, dass sie tatsächlich existieren.

Wir sollten zu „ihren“ Wertmaßstäben auf Abstand gehen. In dieser Hinsicht sind wir alle Mönche: wir bleiben unschuldig und unsichtbar für Kulturindustrie und Funktionäre. Sie haben keine Ahnung von dem, was wir treiben, solange wir uns nicht an sie verraten, und selbst dann würden sie es niemals begreifen.

Verstehen können sie nur das, was sie selbst verordnet haben. Sie sind geschickt darin, in schönen Worten das Leben zu umschreiben, und dann dafür zu sorgen, dass das Leben sich dem anpasst, was sie selbst verkündet haben. Wie sollten sie irgendjemandem vertrauen können, wenn sie sogar das Leben zum Lügner machen? Es ist der Geschäftsmann, der Werbestratege, der Politiker, der ergeben an die „Magie der Sprache“ glaubt – nicht der Dichter.

Dichterinnen und Dichter leben in dem Bewusstsein, dass keinerlei Magie existiert. Nur das Leben gibt es mit all seiner Unvorhersehbarkeit und Freiheit. Was als ‚Magie‘ bezeichnet wird, ist ein rücksichtsloser Manipulationsversuch, ein Teufelskreis, eine sich selbst erfüllende Prophezeiung.

Sprachmagie ist eine Entweihung der Sprache und des Geistes, in der Worte, die absichtlich unverständlich sind, sinnlos auf den verletzlichen Willen einwirken. Lasst uns diese Magie verspotten und sie mit eigenen Unverständlichkeiten nachahmen, wenn wir Lust darauf haben. Noch besser aber ist es zu prophezeien statt zu spotten. Eine Prophetie auszusprechen bedeutet nicht, dass man etwas vorhersagen würde. Man packt vielmehr die Wirklichkeit in einem Moment, in dem sie sich mit äußerst gespannter Erwartung dem Neuen zuwendet. Diese Spannung erkennen wir nicht in hypnotischer Begeisterung, sondern im Licht des alltäglichen Lebens. Dichtung ist frei von jeglicher Vorhersage, weil sie selbst die Erfüllung all jener wirklich bedeutsamen Vorhersagen ist, die sich im Alltag verbergen.

Dichtung ist das Erblühen alltäglicher Umstände. Sie ist die Frucht ganz normaler und natürlicher Entscheidungen. Darin liegt ihre Unschuld und ihre Würde.

Lasst uns nicht wie diejenigen sein, die sich wünschen, der Baum würde zuerst seine Frucht tragen und erst anschließend seine Blüte – ein Taschenspielertrick und Werbeversprechen. Uns genügt es, wenn zuerst die Blüte erscheint und erst nach ihr die Frucht, jedes nach seiner Zeit. Solcher Art ist der Geist der Dichtung.

Lasst uns dem Leben gehorchen und dem Geist allen Lebens, der uns in das Dichterdasein hineinberufen hat, denn dann werden wir viele neue Früchte ernten, nach denen die Welt hungert – Früchte der Hoffnung, die man noch nie zuvor gesehen hat. Mit diesen Früchten werden wir die Bitterkeit und Wut des Menschen stillen.

Lasst uns stolz darauf sein, dass wir keine Schamanen sind, sondern ganz normale Menschen.

Lasst uns stolz darauf sein, dass wir keine Fachleute auf irgendwelchen Gebieten sind.

Lasst uns stolz sein auf die Worte, die uns geschenkt werden, nicht, um jemanden zu belehren, zu widerlegen oder zu beweisen, wie sehr irgendjemand danebenliegt, sondern um über alle Dinge hinauszuweisen in die Stille, in der überhaupt nichts gesagt werden kann.

Wir sind keine Überredungskünstler. Wir sind die Kinder des Unbekannten. Wir sind die Abgesandten der Stille, die nötig ist, um die Opfer des Unsinns zu heilen, die von zu viel aufgesetzter ‚Freude‘ sterbenskrank geworden sind. Lasst uns also zur Kenntnis nehmen, wer wir in Wirklichkeit sind: Derwische, besessen von einer geheimen heilenden Liebe, die man weder kaufen noch verkaufen kann und die unter Politikern gefürchteter ist als jede gewaltsame Revolution, weil Gewalt überhaupt nichts ändert. Liebe aber verändert alles.

Wir sind stärker als die Atombombe.

Lasst uns also „ja“ sagen zu unserer edlen Abstammung, indem wir die Unsicherheit und die Verachtung umarmen, die zu einem Dasein als Derwisch dazugehören.

Schon in der Republik des Plato gab es für Dichter und Musiker keine Verwendung, für Derwische und Mönche schon gar nicht. Die hochtechnisierten Platos dagegen, die sich für die Beherrscher unserer heutigen Welt halten, wollen uns mit Banalitäten und hochtrabenden Idealen ködern. Aber wir können ihnen ganz leicht ausweichen, indem wir in den heraklitischen Fluss steigen, den man niemals zwei Mal durchqueren kann.

Wenn der Dichter seinen Fuß in den stetig fließenden Fluss setzt, dann wird aus dem gleißenden Wasser nichts anderes als Dichtung geboren. In diesem einzigartigen Augenblick wird die Wahrheit ersichtlich für alle, die in der Lage sind, sie zu empfangen.

Niemand kann sich dem Fluss nähern, sofern sie oder er nicht die eigenen Füße benutzt. Man kann nicht herbeigefahren oder -getragen werden.

Niemand kann in den Fluss steigen, solange sie oder er noch die Gewänder der bekannten und allgemein vertretenen Weltanschauung trägt. Man muss das Wasser auf der eigenen Haut spüren. Man muss wissen, dass das Unmittelbare nur dem entblößten Geist und den Unschuldigen zugänglich ist.

Kommt, Derwische: Hier ist das Wasser des Lebens. Tanzt darin.

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Huchting in Bildern

Letzte Woche bin ich in Huchting gewesen mit dem festen Vorsatz, den Stadtteil zu fotografieren. Ich habe gewusst, dass das nicht leicht werden würde. Ich hatte es schon mal versucht und nicht hinbekommen.

Damals, im April des letzten Jahres, ging es darum, ein Motiv zu finden, das möglicherweise für das Cover des Buches ‚Huchting – Geschichten von der Straße‘ benutzt werden konnte. Drei Tage lang streifte ich kreuz und quer durch den Stadtteil, immer auf der Suche nach dem einen Motiv, das in der Lage wäre, Huchting zu repräsentieren. Mir wurde schnell klar, dass es dieses Motiv nicht gab. Huchting ist viel zu unterschiedlich, viel zu gegensätzlich, als dass ein einzelnes Bild die verschiedenen Lebenswirklichkeiten widergeben könnte.

Um mich an die verschiedenen Ecken erinnern zu können, machte ich viele Fotos mit dem iPhone. Schließlich ging es auch darum, mir die Straßenzüge einzuprägen, weil ich im Sommer die letzten Geschichten des Bandes schreiben und die bestehenden überarbeiten wollte. Die Bilder, die dabei entstanden, waren sachlich, irgendwie funktional. Aber sie atmeten natürlich nicht die Atmosphäre, die ich mit Huchting verbinde.

Jetzt, im Januar, ging es wieder nach Huchting. Diesmal mit dem festen Ziel, nicht ein Bild, sondern mehrere Bilder zu machen, die für Huchting stehen können. Mein Verlag Adeo veröffentlicht ein kostenloses, aber trotzdem hochwertiges Magazin, das die Neuerscheinungen vorstellt. In der nächsten Ausgabe erscheint auch ein Artikel von mir über das Buch und den Stadtteil. Und dafür werden Bilder benötigt.

Ich habe mir mehrere Wochen den Kopf darüber zerbrochen, welches bildästhetische Konzept ich verfolgen würde, um Bilder zu erhalten, die beides zeigen: sowohl die prosaische Realität als auch die – ich schreib es jetzt mal: proletarische Poesie, die beide Huchting ausmachen. Sie sollten nicht zu prosaisch und sachlich sein, weil sie dann nicht das Besondere an Huchting zeigen würden. Und sie durften nicht ’schön‘ werden, weil das der Wirklichkeit nicht gerecht werden würde.

Erst einige Tage, bevor es losgehen sollte, fasste ich meinen Entschluss. Ich würde es riskant spielen. Ich würde eine analoge Plastikkamera benutzen: kein Glasobjektiv; kein Autofokus; kein Bildstabilisator; kein eingebauter Blichtungsmesser; nur drei mögliche Blendeneinstellungen, von denen an dunklen Wintertagen ohnehin nur eine in Frage kommen würde; nur zwei Verschlusszeiten: Bulb (also so lange, wie man den Auslöser drückt) und 1/60 Sekunde; und natürlich Film, also ohne die Möglichkeit zu überprüfen, ob das Bild etwas geworden ist, um es dann noch eimal zu versuchen.

Meine Frau überredete mich, als Back Up noch eine Digitalkamera mitzunehmen. Ich gab ihr Recht und kaufte deshalb für meine billige Canon eos 1200D einen Adapter, damit ich die Plastikobjektive auch mit dieser Kamera nutzen konnte. Das und mein Stativ gaben mir genügend Sicherheit, eines Morgens auf die Suche nach guten Motiven zu machen.

Das Wetter war noch schlechter als befürchtet. Den ganzen Tag über bedeckten dichte Wolken den Himmel. Es war so dunkel, dass die Filme, die ich mitgenommen hatte, nicht lichtempfindlich genug waren, um einfach nur den Auslöser betätigen zu können. Ich konnte die nötige Belichtungszeit zwar messen, aber nicht an der Kamera einstellen. Deshalb musste ich schätzen. Ich befestige die kleine Diana Plus auf dem Stativ, richtete sie aus und hielt den Auslöser so lange gedrückt, wie ich glaubte, dass es nötig wäre.

Zum Glück bin ich ein Hybridfotograf. Das bedeutet, dass ich sowohl analoge als auch digitale Technik benutze. Nachdem ich die Filme zu Hause entwickelt und zum Trocknen aufgehängt habe, scanne ich sie und bearbeite sie anschließend am Computer. Auf diese Weise konnte ich falsche Belichtungszeiten korrigieren. Und sie gefallen mir. Sie sind körnig, dreckig und schön. Ich bin der Meinung, dass sie das Huchting zeigen, dass ich kenne und liebe.

Weil die Verhältnisse so schwierig waren, habe ich auch sehr viel mit der digitalen Kamera gearbeitet. Aber diese Bilder gefallen mir bei weitem nicht so gut wie die Bilder auf Film. Das liegt vor allem daran, dass der Bildsensor um ein Vielfaches kleiner ist, als die Fläche des Filmes, den die Diana belichtet (sie benötigt 120 Film, fotografiert also im Mittelformat). Die Bilder der Canon sind deshalb viel matschiger als die der Diana. Der eine oder andere schöne Schnappschuss ist dennoch dabei.

Ich bin gespannt, welche Bilder der Verlag für sein Magazin auswählt. Wir haben im Vorhinein besprochen, dass die Bilder wie Polaroids oder Instant-Bilder präsentiert werden könnten. Wenn es soweit ist, wird dieses Projekt ersteinmal abgeschlossen sein. Aber wer weiß? Vielleicht komme ich zum Fotografieren nach Huchting zurück. Ich glaube, ich habe Blut geleckt.

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Donnerstag, 14. November 2019

Wann ist man erfolgreich? Wann als Mensch? Wann als Künstler? Eigentlich ist es doch so, dass Erfolg durch die Frage definiert ist, welches Ziel ich mir setze. Wenn ich mein Ziel erreiche, bin ich erfolgreich. Wenn nicht, nicht.

Es kann natürlich sein, dass ich das Erreichen meines Zieles nicht als Erfolg empfinde. Aber ist die Tatsache, ob ich mich erfolgreich fühle oder nicht, ausschlaggebend dafür, ob ich erfolgreich bin oder nicht?

Die Frage ist, ob es so etwas wie ein objektives und ein subjektives Erfolgreichsein gibt. Kann ich einen Erfolg erringen, ohne mir dessen bewusst zu sein? Und wer würde in diesem Fall entscheiden, ob ich erfolgreich gewesen bin oder nicht? Ist es vielleicht sogar denkbar, dass ich mein erklärtes Ziel nicht erreiche und dennoch auf eine gewisse Art erfolgreich bin, vielleicht gerade sogar deshalb erfolgreich bin? Wie würde so etwas aussehen?

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Donnerstag, 7. November 2019

Mein lektoriertes Manuskript von ‚Huchting‘ ist da. Ich hab schon reingeschaut. Die Lektorin hat super Arbeit geleistet. Irgendwann bist du als Autor so tief in den Text versunken, dass du offensichtliche Fehler nicht mehr bemerkst. Da ist eine kompetente Person, mit der du zusammen arbeiten kannst, einfach Gold wert.

Die Überschriften stehen schon fest, heute und morgen gehe ich die Anmerkungen im Manuskript durch, und dann müsste es geschafft sein. Dann ist ‚Huchting‘ fertig.

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Mittwoch, 6. November 2019

Ich genieße gerade Storytelling auf zwei völlig verschiedene Weisen. Einerseits schaue ich die Marvel Serien in chronologischer Reihenfolge. Sie sind unterschiedlich gut. Die meiner Meinung nach bisher beste von allen ist die erste Staffel des Punisher. Ich finde, die Serien sind immer dann sehr gut, wenn das fantastische Element auf den Alltag trifft. Wenn sie dann zu sehr ins Fantastische abdriften, verlieren sie meiner Meinung nach deutlich an Qualität. Die Geschichte des Punisher verzichtet auf das Fantastische, zumindest weitesgehend. Vielleicht mag ich sie deshalb so.

Im Vergleich zu dem Buch, das ich gerade lese, ist das natürlich alles eine geradezu kindliche Art des Erzählens. Obwohl The Slave von Singer in einer unglaublich schlichten, manchmal fast schon kindlichen Sprache erzählt wird. Es ist die Geschichte des Juden Jakob im Polen des 17. Jahrhunderts, der verbotenerweise die Nichtjüdin Wanda liebt, schließlich mit ihr ein Paar bildet und fliehen muss. Auch in dieser Geschichte spielen historische Ereignisse, Massaker an Juden, Ausbeutung, Ungerechtigkeit und natürlich Liebe eine große Bedeutung. Aber all die umwälzenden Themen werden mit den ganz kleinen Dingen des Alltags kontrastiert, und diese Dinge beschreibt Singer viel umfassender, liebevoller, aufwändiger als die anderen. Auf diese Weise lässt er mitten im Schrecklichen eine unglaubliche Schönheit aufscheinen, die das Buch so lesenswert macht. Übrigens spielt auch bei ihm das Fantastische eine Rolle, das aber lässt er nur kurz anklingen, es spielt sich unerkannt und unverstanden im Hintergrund ab und hat mit den Dingen der Alltagswelt letztlich nur mittelbar zu tun.

Ich brauche irgendwie beides: das etwas grobschlächtige Erzählen der Marvel Serien und die feingliedrige, nuancierte Erzählweise des Buches. Immer wenn ich genug habe von dem einen, gehe ich über zum anderen.

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Goficast #25: Ich lese ‚Flucht aus Evangelikalien‘ (4)

Heute gibt es endlich mal wieder ein Kapitel aus meinem Buch ‚Flucht aus Evangelikalien‘ zum Zuhören! Ich lese ‚Timmy, Jimmy und das Osterlachen‘ vor, ein Kapitel, in dem ich mir darüber Gedanken mache, ob man über Leid lachen darf und wie man es schaffen kann, sich selbst und seine leidvolle Situation nicht ganz so ernst zu nehmen, wie es sich vielleicht anfühlt. Hier und da streue ich Kommentare ein, denn seit das Buch veröffentlicht worden ist, ist ja auch schon wieder etwas Zeit vergangen. Viel Spaß beim Zuhören!

Timmy, Jimmy und das Osterlachen – mit Kommentaren
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Jetzt ist es raus: So sieht das Cover meines nächsten Buches ‚Huchting‘ aus!

Im März ist es so weit, da kommt endlich mein nächstes Buch heraus – ein Kurzgeschichtenroman mit dem Titel ‚Huchting – Geschichten von der Straße‘. Im Verlag laufen die Vorbereitungen natürlich schon längst auf Hochtouren: Das Manuskript ist im Lektorat, der endgültige Titel wurde festgelegt, und wir haben uns für das Cover entschieden! Außerhalb des Verlages weiß das noch niemand. Ihr seid die ersten, die es erfahren …

Das ist immer ein etwas haariger Moment, wenn man sich auf das Cover einigen muss. Klar, über Geschmack soll man nicht streiten. Aber man tut es natürlich trotzdem. Immerhin ist das Cover quasi das Gesicht des Buches, es soll gut aussehen, potentielle KäuferInnen überzeugen, aber auch den Inhalt angemessen repräsentieren. Das ist jedes Mal ein echt heikles Unterfangen.

In diesem Fall kommt hinzu, dass wir früh gewusst haben, dass das Buch ‚Huchting‘ heißen soll, weil das einfach gut klingt. Aber wenige Menschen in Deutschland wissen überhaupt, was Huchting sein soll – nämlich ein Ort, genauer: ein Stadtteil von Bremen und der Schauplatz aller 12 Geschichten.

Mein Verlag Adeo ist in diesem ganzen Prozess wirklich sehr, sehr cool gewesen. Überhaupt ist die Zusammenarbeit mit Annette Friese, Karo Kuhn, Ilka Walter und Sarah Koller (huch, alles Frauen!) total entspannt und konstruktiv gelaufen. Was die Wahl des Covers angeht, habe ich volles Mitspracherecht gehabt. Sie haben mir nicht weniger als sechs Entwürfe vorgelegt und mich gefragt, welcher mir am besten gefällt. 

Mir ist wichtig gewesen, dass der Ort Huchting irgendwie richtig repräsentiert wird. Ich wollte kein ’schönes‘ Cover, das vielleicht den einen oder anderen im Buchladen oder bei Amazon überzeugt, aber nicht wirklich Huchting gezeigt hätte. Am Ende ist es dieses hier geworden. 

Wie findet ihr es? Ich finde die Idee, den Titel in Form eines Ortsschildes zu zeigen, ziemlich genial. Außerdem ist es eine Mischung aus poppig und seriös. Damit fühle ich mich wohl. Das ist schließlich in ästhetischer Hinsicht die Region, auf die ich mit meiner Arbeit abziele.

Okay, ich gebe zu, ich hätte mich über ein cooles Bild eines Wohnblocks noch ein bisschen mehr gefreut. Aber Huchting (der Ort) hat die Eigenschaft, dass er so vielseitig ist, dass ein Bild allein ihn unmöglich darstellen kann. Dort leben zu viele Milieus und Nationalitäten auf recht kleinem Raum. Für den Schriftsteller ist das super. Für einen bildenden Künstler eher schwierig.

Insofern bin ich mit diesem Cover glücklich. Es ist eine gute Wahl, denke ich. Oder was meint ihr?

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